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Gesellschaftsroman des Monats

Maria Peteani: „Der Page vom Dalmasse Hotel“, Milena 2024

Der Wiener Milena Verlag ist nicht nur durch seine popkulturellen Publikationen bekannt, durch Krimis und bunte Anthologien, sondern auch durch sein Faible für verloren gegangene oder in Vergessenheit geratene Literatur. Um ein solches Werk handelt es sich beim „Pagen vom Dalmasse Hotel“.

Der Roman erschien erstmals 1927. Die Autorin, die vor allem als Journalistin vor der Machtergreifung der Nazis sehr umtriebig war, schildert darin die Geschichte eines jungen Mädchens. Friedel braucht dringend einen Job, doch für mehr oder minder ungelernte junge Frauen gibt es nichts zu holen am Arbeitsmarkt. Bevor sie verhungert, versucht sie auf andere Weise an einen Beruf zu kommen. Sie verkleidet sich als Junge und heuert als Page in einem noblen Hotel an. Dort begegnen ihr der amerikanische Geldadel und die letzten Reste der europäischen Aristokratie. Die einen sind freundlich zum schönen jungen Liftboy, die anderen brüsk und herrisch.

Die Geschichte atmet den Geist der Zwischenkriegszeit mit Härten, Entbehrungen, aber auch dem einen oder anderen Luxus. Das Vergnügen wird bei allen, die es sich leisten können großgeschrieben, als hätte man geahnt, wie es ab 1938 weitergehen wird. In dieser genauen, detailreichen Beschreibung der Zeit liegt die Stärke des Romans. Er ist stilistisch an der Populärliteratur angelehnt. Er sollte das damalige Publikum unterhalten, darunter wohl viele junge Frauen, die sich ein so mutiges Vorgehen erträumt hatten.

Friedel ist freilich nicht die einzige, die ihre Identität verschleiert. Auch so mancher scheinbar noble Herr schwindelt sich durch die harten Jahre in der Großstadt. Der Kontrast zwischen dem ruhigen und friedlichen Leben am Lande und der schroffen urbanen Realität wird bis zum durchaus unerwarteten Happy End  betont. Die Abgründe, die Autoren wie Döblin von der Zwischenkriegszeit zeigen, spart Peteani tendenziell aus. Das mag in manchen Passagen zwanghaft heiter und naiv wirken, macht den Roman andererseits auch heute greifbar. Denn in den gegenwärtigen Krisen sind wir auch oft genug gezwungen, uns zu verstellen. Und dass klassische binäre Geschlechterrollen hinterfragt werden, ist heute wohl mehr als offenkundig. Eine gut in Szene gesetzte Handlung und ein Buch, das uns in eine Welt führt, die anders, aber nicht besser war als die unsere.

Großes Lob an dieser Stelle für die liebevolle Edition und das fachkundige Nachwort von Peter Zimmermann.

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