LOS BITCHOS: “Let The Festivities Begin!”, City Slang VÖ 4. 2. 2022
Serra Petale (Gitarre), Agustina Ruiz (Keytar), Josefine Jonsson (Bass) und Nic Crawshaw an den Drums haben sich in London bei diversen Parties gefunden, so heißt es. Wer diese Platte des puren Wahnsinns hört respektive die Videos der vier sieht, glaubt das sofort. Sie haben eine wilde Mischung aus Tarantino-Elementen, Latin-Sounds wie Cumbia, spooky Retro-Rock und durchgewirbelte Surf-Klänge mitgebracht zum Fest.
Der Albumtitel ist Programm.
Gejammert wird morgen wieder. Kopfweh! Heute gibt es eine krachende Fiesta, damit die Nachbar:innen auch was davon haben. Das kommt vielleicht noch etwas früh für europäische Verhältnisse, aber wer sagt denn, dass es im Februar zu kalt ist für ausgelassene Stimmung im Park, im Cabrio oder eben doch daheim im Wohnzimmer. Und wenn die Clubs wieder aufsperren, eines Tages, dann ist das da das erste, das wir uns wünschen. Live, wenn es wahr ist, am 31. Mai im Fluc Wanne, Wien. Be there or be nowhere. Und jetzt: Lasst die Festivitäten beginnen!
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IMARHAN: “Aboogi”, City Slang, VÖ 28.1.
Gleiches Label, andere Grundstimmung. Die Truppe aus dem Süden Algeriens legt eine mitreißende Platte vor, die riesengroße Freude macht. Uns beim Hören, hoffentlich aber auch vielen Musiker:innen vor Ort im Studio in Tamanrasset, das neu gebaut wurde und der lokalen Community zugute kommen soll. Das Leben als Tuareg hat seine schönen, aber vor allem seine harten Seiten – und davon erzählen Imarhan in einem Stil, der zwischen Temperament und Lässigkeit angesiedelt ist. Der Albumtitel bezieht sich auf die Strukturen, die die nomadischen Vorfahren beim Bau von Siedlungen konstruierten. Zugleich soll er Optimismus und Bezug zur Region kommunizieren.
“Aboogi spiegelt die Farben von Tamanrasset wider, das, was wir hier jeden Tag erleben”, sagt Bandleader Iyad Moussa Ben Abderahmane, aka Sadam. Es ist ein prachtvolles Album, das man mit dem Etikett “World Music” versehen kann, wenn man will. Für uns ist es Wind und Wüste, Gehen und Bleiben. Bemerkenswert auch die Kooperationen, die Imarhan für dieses Album eingegangen ist. So singen SulafaElyas und auch Gruff Rhys von der walisischen Band Super Furry Animals. Die gute Nachricht: Imarhan ist ab Anfang März auf Europa-Tour. Die schlechte Nachricht: Gigs in Österreich konnten wir im Kalender nicht finden.
Pressefoto: Imarhan / Fehti Sahraoui
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SAM WEBER: “Get Free”, Sonic Unyon Records VÖ 4. 2. 2022
Immer wieder wird uns versichert, dass es schön ist, hier über Musik zu lesen, die man sonst nur schwer findet. Beim kanadischen Musiker Sam Weber könnte das so sein, allerdings nur hierzulande. In Nordamerika hat er sich durchaus schon einen guten Namen gemacht, mittlerweile lebt er in L.A. und widmet der Stadt auf seiner neuen Platte auch gleich einen Song. Der Mann hat zahlreiche Talente, spielt er doch auf “Get Free” Piano, Bass, Synthie, Percussion und verschiedene Gitarren. Und: er schaut ausgesprochen sympathisch aus, was ja auch nichts Schlechtes ist.
Das Album beginnt mit einer Kernfrage: “Truth or Lie” und es ist klar, für welche Seite sich Mr. Weber entscheidet. Gemeinsam mit seiner Partnerin Mallory Hauser sind zehn Songs entstanden, die zwischen knochentrockenem Indie-Rock und Singer-Songwriter-Sounds angesiedelt sind. Sehr lässige Stimme, hochklassig gemixt von Robbie Lackritz. “Ein besonderes Gefühl von Eleganz”, meint der Pressetext und da würden wir noch eine Dosis Coolness hinzufügen. Wird euch gefallen, wenn ihr ein Herz für große Songs in kleiner Besetzung habt. Und wenn er dann mal in der Gegend ist, sagt uns Bescheid. Das könnte ein schöner Abend werden…
Kostprobe hier:
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Animal Collective: “Time Skiffs”, Domino VÖ 4. 2. 2022
Das Quartett, das ursprünglich großteils aus Baltimore stammt, hat in dieser Zusammensetzung auch schon mehr als 20 Jahre auf dem Buckel. Und hat zuletzt einige Jahre verstreichen lassen ohne ein Studio-Album. Dafür wird es jetzt schön kunterbunt. Das Kollektiv, das schon immer einen Hang zum Experiment hatte und die Kunst des Synthie hoch hielt, hat mit “Time Skiffs” ein episches Durcheinander gemischt. Die Songs sind gern mal 6 Minuten und mehr lang. Was immer an Sounds des Weges kam wurde eingepackt und in den Sampler geworfen. Das klingt jetzt komplexer als es ist. Denn die neue Platte ist zugleich eine der eingängigsten, geschmeidigsten. Schön wieder mal von dieser großen Band zu hören. Und zu sehen: Nämlich hier:
Foto: Hisham Bharoocha
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DYAN VALDÉS: “Stand”, R.I.P. Ben Lee Records VÖ 11. 2. 2022
Dyan Valdés hat amerikanisch-kubanische Roots. Die Pianistin gründete 2002 gemeinsam mit Studienkolleg:innen “The Blood Arm”. 2011 zog die Band nach Berlin. Dort lernte Valdés die Hamburger Band “Die Sterne” kennen und wurde zu ihrer Live-Keyboarderin. Ihr Solo-Album, dessen Produktion ausschließlich in weiblichen Händen lag, verbindet bunten Pop mit Verweisen auf Bowie, P. J. Harvey, Peaches und anderen starken Frauen im Musik-Business. Die Themen der Platte haben einen mehr als nur ernsten Hintergrund. Inmitten einer pandemischen Lockdown-Stimmung wurde Dyan Valdés von einem Mann in Berlin auf offener Straße attackiert. Sie konnte der Situation entkommen, arbeitet diese aber sehr offensiv auf. So ist nicht nur sanfter Gesang zu hören, sondern auch Schreie. Auch ohne diesen Background zu kennen, wird einen das Album rasch in seinen Bann ziehen. Es ändert mehrmals die Richtung, den Speed, die Tonalität. Während ganz oben noch hemmungslos gefeiert wurde, wird hier Standfestigkeit proklamiert. Stark!
Foto: Petra Valdimarsdottir