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Buch des Monats Romane

Roman des Monats

MICHAEL SCHARANG: „Aufruhr“, Suhrkamp 2020

Ein guter Roman beginnt mit einem besseren Satz und jeder hat es sich gewiss schon ein- oder mehrere Male gewünscht: Unsere Politiker sollen ins Ausland flüchten. Diese Art von Eröffnung bringt eine gewisse Erwartungshaltung mit sich, rasch mehr über Details und Hintergründe zu erlesen, doch „Aufruhr“ startet dann doch eher wie ein Kriminalroman.

So begleiten wir den Protagonisten, den Psychiater Maximilian Spatz, durch eine Kneipenepisode in New York, hin zu einer beruflichen Turbulenz, die ihn zu seiner Rückkehr nach Wien veranlasst. Immer gibt er sich feinfühlig, wenn es um Zwischenmenschliches in seinem Umfeld geht und schenkt Begegnungen mit Personen, die wir im Alltag oft übersehen, seine Aufmerksamkeit. Schnell erfahren wir von seiner politischen Einstellung, diese wirkt freilich manchmal zu plakativ, seinem kunsthistorischen Interesse an der Hauptstadt und seiner Familiengeschichte.

Dreh- und Angelpunkt für die nächsten Ereignisse wird ein Kaufhaus in der Innenstadt, wo sich Widerstand gegen den Kapitalismus in Form eines üblen Geschäftsführers regt. Die Betriebsrätin, gleichzeitig die Geliebte von Spatz, nimmt den Kampf auf und kann dabei auf eine illustre Runde von Unterstützern aus dem Bekanntenkreis des Psychiaters zählen. Diesem Personenkreis kommt besondere Bedeutung zu, handelt es sich dabei zum Großteil um Alltagsbekanntschaften, die im weiteren Verlauf ihren Unmut gegenüber dem Zustand der Arbeitswelt, aktiv in die Handlungen mit einbringen. So kommt es zu Aktionen der Kaufhausangestellten, die in einem Schaufenster-Theater gipfeln, der Belegschaft den Sieg bringen und letztendlich auch der Öffentlichkeit das darstellen, was gemäß dem Roman in der heutigen Arbeitswelt schief läuft.

Leicht zu lesen und interessant konstruiert, begibt sich die Leserschaft in diesem Roman auf eine Gedankenreise durch das westliche Arbeitssystem und ihre Verlierer. Einige Episoden holen historisch weit aus, eingestreute Zitate von Sartre und Oscar Wilde oder eine Erklärung der US-Außenpolitik in einem einzigen Satz erscheinen etwas übermotiviert, doch gibt es vieles zu entdecken.

Anlehnungen an die Kunst und Populärkultur werden instrumentalisiert, um uns an die Möglichkeiten unserer Umgebung und alternative Handlungsweisen zu erinnern, vielleicht bewusst unschlüssig wirkt das Ende, wenn naiv-utopisch vorgeschlagen wird, „das Internet abzustellen“ oder das „Flüchtlingsproblem aufzuheben, indem man erklärt, dass es gar nicht existiert“.

Der Klappentext kündigt es bereits an, „Aufruhr“ ist keine Revolution, doch der erste Satz wirkt nach. Wenn wir es schaffen, dass sich eine neue Solidarität im Alltag einstellt, wenn wir unseren zahlreichen Begegnungen wieder Bedeutung schenken, sei es „nur“ mit einem Taxifahrer, wird man erkennen, dass wir alle die gleichen Sorgen und Wünsche haben. Der erste Schritt zum Umschwung ist ein Umdenken unserer Arbeitsverhältnisse und eine neue Menschlichkeit.

Foto + Rezension: Haubentaucher-Gastautor BAM

 

 

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