Nava Ebrahimi: “Das Paradies meines Nachbarn”, btb Verlag 2020
Die in Graz lebende Journalistin Nava Ebrahimi, die in Teheran geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, hat mit “Sechzehn Wörter” ein faszinierendes und (auch hier) viel gelobtes Debut vorgelegt. Aber: Wie war das noch mit der 2. LP? Die Gefahr, die hoch gesteckten Erwartungen beim zweiten Buch nicht erfüllen zu können, umgeht Ebrahimi souverän.
Indem sie nämlich ein gänzlich anderes Buch schreibt, mit einer deutlich veränderten Sprache, einem anderen Thema. Ja, es geht wieder um das Leben im Iran und in Deutschland. Doch diesmal stehen drei Männer im Zentrum des Geschehens, autobiographische Bezüge sind sehr viel schwerer herstellbar. Der eine Ali musste für den anderen Ali in die Schlacht, der Dritte, ein Designer namens Sina gerät unversehens mitten hinein in die Lebensgeschichten der beiden – und hat dabei doch mit seinem abgetauchten persischen Vater und seiner deutschen Mutter ohnehin sein eigenes Pinkerl zu tragen.
Der Roman ist spannend bis zur letzten Seite, reich an Beobachtungen und Details, er appelliert an die Phantasie und kann uns so auch das eine oder andere grausige Detail des wahnwitzigen Krieges zwischen dem Irak und dem Iran ersparen. Besonders stark ist das Buch in seinen philosophischen Momenten, wie etwa dem titelgebenden. Der junge Ali, der vom Paradies der Märtyrer träumt, stellt sich plötzlich einer grundsätzlichen Frage. Was ist, wenn sein Paradies völlig anders aussieht als das seines Sitznachbarn? Ist das denkbar? Oder wird damit jede Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ad absurdum geführt?
Ebrahimi gelingt es, die drei doch sehr unterschiedlichen Charaktere gleichermaßen eindrücklich zu zeichnen. Ihre Zweifel, ihre Ängste, ihr kompliziertes Verhältnis zum anderen Geschlecht. Wenn Sina über den Rücken seiner Frau nachdenkt oder Ali Najjar erklärt, warum es besser ist, ein Arschloch zu sein als ein Loser, dann erkennt man das Einfühlungsvermögen der Autorin. Es ist wieder ein großes Buch geworden. Und wir freuen uns schon jetzt auf das nächste. Aber erst einmal gilt es die nächsten Lesungen der Autorin anzukündigen. Leipzig und Graz stehen da etwa auf dem Programm: