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Musik

Tonträger des Monats Oktober / INT

DEICHKIND: „Wer sagt denn das?”, Sultan Günther Music, VÖ 27. 9.

Die Band muss man nun aber echt niemandem hierzulande vorstellen. Sie machen halt leider wirklich die “geilsten” Songs, das kann man nun lieben oder hassen. Dazwischen ist nix. Warum wir zu Gruppe 1 gehören? Weil kaum jemand so hinterfotzig schlaue Texte raushauen mag (von Jan Delay vielleicht mal abgesehen) und weil der Sound halt deutsche Weltklasse ist.

Klar, es nervt, wenn man dann die Songs hunderttausendmal im Formatradio hört, aber kann Deichkind da was dafür? Wir meinen: Nein.

“Wer sagt denn das?” ist so etwas wie Medienkritik. Die Platte versucht die Opulenz ein bisschen runterzuschrauben und brettert wie immer mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf der Landstraße. Dabei bedient man sich nicht nur aus dem eigenen Schaffen, sondern nimmt auch die eine oder andere Anleihe an DAF und anderen New-Wave-Bands. “1000 Jahre Bier”, das wiederum ist klassischer Deichkind-Stoff, der trotz seines hämischen Untertons jederzeit in der Großraum-Disco funktionieren wird. Egal, wir freuen uns über die Platte. Man muss ja nicht immer die selben drei Songs spielen. Anfang 2020 gehen die Deichkinder dann auf Tour und streifen am 21. 2. dabei auch die Wiener Stadthalle. Geil!

PAPER BEAT SCISSORS: “Parallel Line”, Seayou Records VÖ 13. 9. 2019

Paper Beat Scissors? Das ist Tim Crabtree. Der gebürtige Brite lebt mittlerweile in Montreal. In den vergangenen zehn Jahren hat er unter dem Signet Paper Beat Scissors zwei Alben und etliche EPs auf den Markt gebracht.

Die anglo-amerikanische Musiklandschaft hat das bemerkt, bei uns ist er noch recht frisch. Nun hat er es mit Album 3 auf das äußerst feine Label Seayou geschafft und damit auch in unseren Mail-Empfang.

Mr. Crabtree ist kein Haudrauf, sondern ein Mann der feinen Töne und Zwischentöne. Eilig hat er es auch nicht, das übliche 3-Minuten-Format ist ihm relativ powidl. Wenn er aber zu singen beginnt, stellt es einem vor Verzückung die Nackenhaare auf. Eine Stimme, wie ein (gefallener) Engel. Dazu ein Sound, der eher an US-Singer-Songwriter erinnert als an Brit-Pop. Im September war er in Deutschland auf Tour, Österreich hat er dabei leider links liegen gelassen. Vielleicht geht sich 2020 ein Besuch aus. Der Mann würde z. B. sehr gut in eines der Wiener Gürtellokale, in die Grazer Scherbe oder nach Hartberg passen. (Nur falls da wer mitliest)

KREIDLER: “Flood”, Buerau B. VÖ 25. 10. 2019

Vier nicht mehr ganz juvenile Herren aus Düsseldorf sorgen für die vielleicht eleganteste Platte dieses Monats. Kreidler verbindet Klassik mit Electro, Post-Punk mit Krautrock, Kraftwerk mit der Gegenwart. Thomas Klein, Alexander Paulick, Andreas Reihse und Detlef Weinrich sind Meister darin, Stimmungen zu kreieren, die große wie kleine Räume in Sekundenschnelle füllen. Solche Sounds kommen seit jeher fast nur aus Deutschland und da auch immer aus einer bestimmten Ecke. Könnten sich Bontempis selbstständig machen und mit allerlei Elektronik paaren, so klänge das genauso wie die neue von Kreidler.

Von den acht Songs auf dem Album sind gleich fünf mit “Flood” samt römischer Nummer betitelt. Die meisten Tracks brauchen ihre Zeit und das heißt: 5 Minuten plus. “Flood” spielt übrigens nicht nur auf dem Cover mit der Leichtigkeit einer Feder. Wenn man die Metapher bemühen will: die Sounds federn auch, meist federleicht, manchmal monoton bis zum Abwinken.

RICHARD DAWSON: „2020“, Domino Records, VÖ 11.10.

Dawson, fast schon so etwas wie ein Klassiker der britischen Szene, konkret mit Homebase Newcastle, sieht aus wie ein gutmütiger Teddybär, aber schön langsam reißt auch ihm der Geduldsfaden. “2020” ist eine ziemlich bittere Abrechnung mit dem Vereinigten Königreich in Zeiten des Brexit. Er konzentriert sich in seinem Storytelling auf die Menschen “von der Straße”, denen die Situation schon jetzt zusetzt.

Sein Humor, der englischer kaum sein könnte, ist dafür verantwortlich, dass “2020” keine wutbürgerliche Protest-LP geworden ist, sondern ein großartiges Werk in leichter Schräglage. Ein Album, das die traditionell punkige Anklage mit der Attitüde des berühmten Fuck-off-Fingers verbindet. Aber nie rummsbumms in die Fresse, sondern dezent angedeutet. Und doch, wie Dawson selbst sagt: “Straight!” Im Innersten ist er bei all dem letztlich doch kein Punk-Rocker, sondern ein subtiler Singer-Songwriter.

Seine Songs tragen wunderbare Titel wie “Heart Emoji” oder widmen sich einem Jogger voller Beklemmungen, sie erzählen von jungen Kerlen, die davon träumen, Lio Messi zu sein, von frustrierten Beamten und von Wirten, die knapp vor dem Aufgeben stehen. Und das alles gesungen in einem herrlich waldschratigen Briten-Style, wie ihn derzeit niemand besser hinbekommt als Richard Dawson. Das alles ist ein großes Geschenk. Und wer jetzt noch nicht überzeugt ist, sollte sich die folgenden 7 Minuten reinziehen, in denen Mr. Dawson durch die Gegend joggt und dabei selbst die härtesten Herzen zum Schmelzen bringt. Bis auf 35 einsame Loser, die auf den “Daumen nach unten” gedrückt haben.

COMET GAIN:”Fireraisers Forever!”, Tapete Records, VÖ 11. 10. 2019

Noch einmal England. Diesmal ein Studio in Nord-London. Comet Gain startet mit “We’re All Fucking Morons” und das verheißt auch eher eine kräftige Dosis Zorn und sicher keine leichtfertige Heiterkeit. Zuletzt fiel die 1992 (!) gegründete Band eher durch zarte Klänge auf, aber jetzt langt’s.

Coment Gain folgt diesmal dem schönen Motto: “Wenn wir alle gleichzeitig ausspucken, dann schaffen wir es, die Arschlöcher zu ersäufen!” Also wird die E-Gitarre wieder auf Punk gebürstet und David Feck alias Charlie Damage trommelt seine Jungs und Ladies wieder zu einer wild-melodiösen Session zusammen. Der Brand wird groß, der Kater danach auch. Wer dringend eine neue Punk-Platte braucht, hier ist sie!

GOLDSCHATZ: “Salt of the Sea”, Vissen Records, VÖ 4. 10. 2019

Ganz ehrlich: Eigentlich wollten wir die Download-Dateien gleich wieder kübeln, als wir den Namen der Band lasen. Aber dann gaben wir dem Zürcher Timothy Jaromir und der schweizerisch-kanadischen Künstlerin Rykka doch eine Chance. Glück für uns!

Denn die beiden bringen unter dem doch etwas kitschigen Signet Goldschatz ein tolles erstes Album heraus, das angenehm amerikanisch klingt oder um genauer zu sein: kanadisch. Die Platte ist wirklich dort auf einer verlassenen Insel im Nirgendwo aufgenommen worden und präsentiert uns zwei Leute, die hervorragend harmonieren.”Salt of the Sea” ist bodenständiges Songwriting mit soliden Stimmen, unaufgeregt, aber immer voller Leidenschaft. Die perfekte Scheibe für Leute, die sich auf dezente Art vom Mainstream abheben wollen und die Nase gern mal über den Tellerrand halten. Derzeit auf Tour durch die Schweiz, vielleicht schaffen sie es 2020 ja nach Österreich? Täten super in eines der Wiener Gürtellokale, in die Grazer Scherbe oder nach Hartberg passen. (Aber das hatten wir ja schon weiter oben…)

THE BROTHERHOOD OF SONIC LOVE: “Satellite Heart”, VÖ 4. 10.

Ein Debutalbum mit 10 Songs, krachenden Gitarren, fünf wilden Dänen, die einige Zeit im Underground erwarben und das beste: Papa und Sohnemann gemeinsam am Werken. The Brotherhood of Sonic Love sind R.O.C.K., flechten aber gekonnt nicht nur Sounds zusammen, die man auch von den Melvins kennt, sondern Splitter aus indischer Philosophie, nordeuropäischer Depression, einer Stimme, die direkt aus Seattle zu kommen scheint. Fette Bretter werden hier gebohrt, wie man sich etwa beim Titelsong vergewissern kann:

Smokey Brights: “Different Windows” EP VÖ 21. 9. 2019

Eine EP geht sich auch noch aus. Smokey Brights sind ein Quartett aus Seattle. Man muss sagen, dass sie prachtvoll anzusehen sind mit der richtigen Mischung aus Belleza, Coolness und Style. Wichtiger aber hier ist die Musik und die wirkt fast klassisch. Der Pressetexter konnte sich auch nicht ganz entscheiden und spricht von “Arcade Fire oder Fleetwood Mac”. Genau…

Ryan Devlin (Gitarre und Vocals) und Kim West (Keyboard und Gesang) sind auch im bürgerlichen Leben ein Paar und zaubern gemeinsam mit Drummer Nick Krivchenia und Bassist/Sänger Luke Logan einen Soundmix zwischen Disco und Soul, Pop und Indie. Spätestens, wenn man im Trio lossingt, schmelzen die härtesten Herzen. Sehr elegant, sehr geschmeidig.

Demnächst auch live in Austria – und das würden wir euch sehr empfehlen, liebe Leser*innen!
19. 10. Wohnzimmer | Klagenfurt
20. 10. Böllerbauer | Haag
21. 10. Academy | Salzburg
12. 11. Rhiz | Wien

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