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Buch des Monats Romane

Roman des Monats: Leichter als Luft

Florian Kirner: “Leichter als Luft”, Westend Verlag 2019

„Es schien aussichtslos. Ein Straßenzug nach dem anderen ging an die Invasoren verloren. Graffitis wurden übermalt, Schmutz, Berber, und nächtliche Biertrinker von den Straßen gefegt. Und das Schlimmste war: Der Beat erstarb, der elektronische Herzschlag dieser Stadt wurde erdrosselt – von spülmaschinenfesten Mutterhänden…notfalls wurden diese Mutterhände zur Polizeifaust“,
schreibt Schriftsteller, Liedermacher und Festivalveranstalter Florian Kirner aka. Prinz Chaos II in seinem rasanten, erfrischenden Berlin-Antimanifest „Leichter als Luft“ und lässt durchblicken, wohin diese Lesereise führen wird. 

 

Vielleicht kennt man den 1975 in München geborenen Schlossherren Florian Kirner auch als Bandmitglied der deutschen Band „Prinzessin & Rebell“ oder aufgrund seines mit Konstantin Wecker entstandenen literarischen Werks „Aufruf zur Revolte“. Apropos Revolte: Früher war Kirner für eine linksradikale Organisation aktiv, und er ist Mitbegründer des Magazins „Rubikon“. Diese politische Affinität blitzt im vorliegenden Roman immer wieder elegant auf, während die Handlungen turbulent, schnell und ausgetüftelt die Lektüre vorantreiben, die Leserschaft fesseln und im richtigen Moment wieder loslassen – ähnlich wie ein Computer-Beat, der müde Knochen zum Tanzen bringt oder einfach ein entspanntes Gefühl erzeugt.

„Leichter als Luft“ lässt auf den ersten Blick einen typischen Techno-Drogenroman im Stile von „Trainspotting“ und einen Rückblick in das Jahr 2001 vermuten. Ja, 2001, richtig geraten: Drei Raver erleben den 11. September 2001 in Berlin auf einem LSD-Trip. Bitte nicht noch eine 9/11-Verschwörungstheorie.

Aber dann ist da doch mehr, viel mehr in diesem Buch. Kirner gelingt eine eigene Situationsbeschreibung des zu Beginn der 2000er Jahre aufstrebenden Berlins rund um die drei Elektrohippies Weazel, Kanarienquex und Donna Fauna – während die weitere Handlung der Geschichte das gentrifizierte Berlin in der Gegenwart zwischen gesellschaftlichem Aufstieg und Vergangenheitsbewältigung wiedergibt. Die Geschichte wird mit interessanten Charakteren (z. B. Rechtsanwalt Jonathan Riksche oder Schamane Nebolin 2) verfeinert, die sich im weiteren Verlauf des Buchs gekonnt entwickeln und die Hauptakteure wunderbar ergänzen. Diverse Chat-Verläufe, Wikipedia-Einträge und Pressemeldungen lockern die Form der Erzählung überraschend auf.

Es ist trotzdem auch (und vielleicht gerade deshalb) ein Berlin-Roman, obwohl er einerseits Anleihen an „Berlin Calling“, „4 Blocks“ oder „BEATS“ vermeidet, und andererseits das schrecklich-schöne bzw. schön-schreckliche Berlin beschreibt. Mehr noch: Es ist ein Buch über die Stadt und ihre BewohnerInnen vor dem Erwachsenwerden. Florian Kirners Werk beginnt mit der verstörenden Erfahrung, den Terroranschlag vom 11. September auf LSD zu erleben, während die Leserschaft im Drogenrausch durch den Technotempel „Shiva´s Palace“ tanzt und folglich auch erfahren wird, warum die ewige Party durch eine brutale Polizeiknüppelaktion aufgelöst wurde. Das Berlin von heute schafft Medienhype und Rechtsstreitigkeiten aufgrund eines Balkonumbaus, während die sogenannte Republic Royale exklusiv zur Ballonfahrt lädt.

Der Autor hat damit einen vor Details strotzenden Mikrokosmos konstruiert, überzeugt durch vielschichtige Erzählungen und schafft es trotzdem, seine Enttäuschung bezüglich der Entwicklung der Hauptstadt wertschätzend und pointiert zu formulieren.

„Leichter als Luft“ orientiert sich folglich an den Stärken von Florian Kirner: Er ist ein motivierter Erzähler; das vorliegende Werk ist sehr mutig und entschlossen. Diese Entschlossenheit beschreibt er am Ende des Romans auch als „natürliche Hoffnung der Welt“.Er macht hier verdammt viel richtig, wenn auch nicht alles. Trotzdem krass, Bom Shiva!
Bild & Text: aL

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