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Musik

Tonträger des Monats Juli / Ö

JIGSAW BEGGARS / PERSONS FROM PORLOCK: “Tomorrow’s Ration Of Dreams”, pumpkin records, Split LP 2019

Hatten wir auch schon länger nicht mehr auf dem Plattenteller: Eine Split-LP zweier Bands. In diesem Fall treffen die Grazer Jigsaw Beggars auf die persons from porlock aus Ljubljana.

Die heimische Fraktion bietet manchmal knochentrockenen, zuweilen aber auch erstaunlich melodiösen (Noise-)Rock, der zurecht in der lokalen Indie-Szene gefeiert wird. Live, so sagt man, gibt es da keine singulären Nummern, sondern einen dichten Soundteppich. Auf der Platte finden sich hingegen klassische Songstrukturen, wenn man auch auf die 3:00 Obergrenze pfeift und die Songs der Länge nach auswalzt. Wieder einmal erinnert uns das an die verblichenen Grazer Bands der frühen 1990er Jahre, die es zwar auf allerlei kunterbunte Compilations brachten, aber leider nie zur überregionalen Berühmtheit. Da die Jigsaws mit Infos und Selbst-Marketing auch eher zurückhaltend sind, könnte es hier gleich noch eine Parallele geben.

Die slowenischen Neo-Freunde persons from porlock sagen auf FB zumindest, wer sie sind (nämlich Gregor Bajc, Vasja Onič, Martin Pavlovec und Nikolaj Mulej). Und weil sie ein bisschen schneller auf den Punkt kommen, gibt es von ihnen sogar vier Songs auf dem Album (Vinyl!). Sie haben deutlich weniger Jahre als Band auf dem Buckel (2015 vs. 2008), gelten aber in Slowenien schon länger als einer der spannendsten Acts. Sie bezeichnen ihren Sound als “Ananas-Pop”, da müssen wir aber gleich an den Traurigen Gärtner denken und das ist jetzt echt eine gänzlich andere Kategorie. Noise heißt hier eher kurzes schräges Geschrammel, das nach Sekunden wieder in Ordnung kommt. Ein bisschen Hall da, schöne schwere Riffs, etwas mehr Tempo noch und die Leute schlagen sich bei den Konzerten die Bierbecher vor Begeisterung um die Ohren. Apropos: Die Mini-Tour der beiden Bands ist leider schon wieder vorbei, aber wir hoffen doch stark auf eine Fortsetzung im Herbst. Hier bleibt man sicher up to date: https://jigsawbeggars.com

Ach ja: Gratulation und Anerkennung an dieser Stelle an den Kunst- und Kulturverein Hofstädter, der die Idee zu dieser feinen Scheibe hatte.

RATZER /HERBERT/EXTRACHELLO: “Occasion”, monkey 2019

Eine rare Kombination. Man könnte es mutig nennen, aber der Mann hat ja schließlich nichts zu verlieren, außer vielleicht einen exzellenten Ruf. Karl Ratzer ist der vermutlich größte lebende Gitarrist dieses Landes. Gemeinsam mit dem ebenfalls weit gereisten und viel erprobten Peter Herbert am Kontrabass und dem Quartett eXtracello hat Ratzer eine CD eingespielt, die an Kammermusik erinnert, teilweise sogar an Klassik, Barockmusik bis hin zu Kirchenmusik.

Klar, Jazz und Blues-Ankläge dominieren dennoch, aber wichtig ist es zu wissen, dass hier nicht losgefetzt wird, sondern in aller Ruhe Songs entwickelt werden, die nachhallen. Dazu kommt eine Stimme, die einen nicht mehr loslässt.

Ratzer eben. At his best. Zumindest bis zur nächsten Platte. Danke, monkey!

WIPEOUT: “Songs for Androids”, Noise Appeal Records 2019 

2019 kommt alles wieder. Auch Wipeout, die Techno-Spielwiese von Didi “Fuckhead” Bruckmayr und Fadi Dorninger ist retour und gerade rechtzeitig. Weil: Düsterne Electrosounds mit reduzierter Textierung (“Game over, Game over, Game over”) passen perfekt in die Gegenwart. Tanz das Trumpeltier, strauchel wie Gudenus. Und die EP, das muss man an dieser Stelle entschieden festhalten, ist piekfein eingespielt.

Das merkt auch das Fachpublikum und Wipeout haben es in den Austrian Indie Charts ziemlich weit nach vorne geschafft. Wobei Indie und Charts, fällt jemandem was auf?

Anyway: Diese Android-Platte muss man haben, wenn man a) tanzen will wie ein Roboter oder b) hin und wieder in düsteren Kaschemmen auflegt oder c) einfach mal den verdammten Verstand ausschalten möchte. Sehr schön!

JUST FRIENDS AND LOVERS: “Her most criminal crimes”, Cut Surface 2019

Nach den vielen Männern endlich wieder eine Frauen-Band. Veronika Adamski, Lina Gärtner und Magdalena Gasser sind JFAL. Ihr zweites Album bringt geradlinige Songs, die irgendwo zwischen Indie-Pop und Punk unterwegs sind.

Wer der guten alten Idee von der Garage etwas abgewinnen kann, ist hier hundertprozentig richtig. Eigentlich stammen die drei aus Graz, aber mittlerweile geben sie Wien als Wohnort an. Und sich selbst bezeichnen sie als “Lo-Fi Göttinen”. In ihren Songs geht es nicht nur um Kriminelles, sondern auch um Rollenklischees, um Kunst und Feminismus.

Eine raue Perle, die gerne darauf verzichet, glatt poliert zu werden. Sehenswert auch die Videos und generell das Artwork der Band.

Live gibt es das Trio, das gerne mal flott die Instrumente tauscht, am 28. 9. im schönen Darmstadt, am 3. 10. in Nürnberg, am 4. 10. im Venster 99 in Wien und am 5. 10.  in Prag, Kasárna Karlín.

CRYSTAL SODA CREAM: “Things don’t talk”, Tape & Digital / Wilhelm show me the Major Label 2019

“Alles wird gut”, “alles wird besser”, Theresa Adamski, Sebastian Ploier, Philipp Forthuber haben den Optimismus noch nicht verloren. Über 160 Konzerte haben die drei aus Wien bereits gespielt, die auf der Website penibel aufgeführt sind. Sonst findet man dort wie auch anderswo recht wenig über die Band, irgendwie scheint diese Zurückhaltung 2019 überhaupt sehr angesagt zu sein.

Der Sound erinnert an New Wave Zeiten, gesungen wird deutsch und englisch, so gesehen ist zwischen Fehlfarben und Sisters of Mercy jede Assoziation erlaubt.

Ein sehr sehr feines Album im Kassettenformat ist “Things don’t talk” in jedem Fall, auch für Menschen, die sich nicht an die 1980er oder 1990er erinnern können (oder wollen).

LAND OF OOO: “Wry Cry”, EP Numavi Records 2018/2019

Das ging ja schnell. “Land of Ooo” wurden vor einem Jahr von Nora Köhler, Leonie Bramberger und Julian Werl ins Leben gerufen. Nach drei Monaten bereits die ersten Live-Gigs und nun ist schon die EP fertig, aufgenommen mit Fun Helsing im Nasaomusic Studio, Graz. Was gibt es da zu hören? Vier Songs, zwischen verträumtem Indie-Pop, nachdenklichem Warten auf Wale und ungestümer Krach- und Kreischgitarre. Sie stammen aus dem “Grazer Feinstaubbecken”, wie sie sagen, und entsprechend trocken ist der Sound. Auf FM4 waren sie auch schon zu hören und wenn die Entwicklung weiter so rasch voranschreitet, wird man von den drei jungen Menschen sehr bald ein Album in Händen halten. Wir täten uns freuen! Live sind Land of Ooo am 20. Juli beim Sommerfest von Container 25 in Kärnten.



MASCHA: “Mit allen Farben” (feat. DER TRAURIGE GÄRTNER), Single, Problembär Records 2019

Mascha stammt aus der Ukraine, lebt in Wien und wurde angeblich von  Beethoven, Lady Gaga und Memes aus dem Internet beeinflusst. Sie lernte Klavier, der Laptop ist aber genauso ihr Ding. Ihr sehr spezieller Humor und ein großes Herz für Kunst machen ihre Musik – und ihre Videos – zu etwas sehr Besonderem. Ein Song aus dem letzten Herbst war der Grün-Politikerin Sigi Maurer gewidmet, nun veröffentlicht Mascha gemeinsam mit dem Traurigen Gärtner ein opulentes Statement gegen die Ibiza-Fraktion. Im Herbst soll ihr neues Album kommen, auch hier darf man sich schon mal ein bisschen vorfreuen. Aber sehen Sie selbst, wertes Publikum…

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