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La Strada Blog 1 / 2018: In der Anstalt

Familie Flöz: Dr Nest

Die Türen der Oper öffnen sich, das Spiel beginnt. Aber halt: Familie Flöz, waren das nicht die mit den großformatigen Masken? Die Publikumslieblinge, nicht nur in Graz bei La Strada gerne gesehen, beginnen unmaskiert und dennoch turbulent und skurril. Ein übermotivierter Kartenkontrollor turnt durch das Publikum, andere sitzen interessiert auf den Balkonen und in den Logen, dann beginnt man mit ersten Arbeiten auf der Bühne. Nach wenigen Minuten des Durcheinanders geht es los, doch zuerst muss eine Dame wenige Plätze neben uns noch ihr Telefon zur Ruhe bringen. Sie schaltet es freilich nicht einfach ab, sondern meldet sich mit den Worten: “Es geht jetzt nicht, ich bin im Theater.” Manche Leute lernen es nie…

Das gilt womöglich, nach strengen Vorstellungen von “Normalität”, auch für den einen oder anderen Charakter, der nun auf die Bühne kommt. In einer poetisch-nachdenklichen Szene zeigen die Flözens, wie ein einziger weißer Mantel den Unterschied markieren kann zwischen Autoritätsperson und Patient. In der “Villa Bianca” treten sie nun nacheinander auf, die resolute Pflegerin, der leicht konfuse Oberarzt, der zuerst vor Angst scheppernde und dann großartig aufspielende Pianist, die verschrobene Strickerin, die Mutter in spe, der Riese mit dem Holz und und – und vor allem: Dr Nest. Der kommt mit viel Ambition in die Anstalt, will sich um seine Patienten kümmern, ihnen helfen, sie womöglich sogar heilen. Mit den Unmöglichkeiten und beschränkten Möglichkeiten strudelt er sich nun eine gute Stunde lang ab.

Das alles wird von der Akteurin und den fünf Akteuren nahe an der Perfektion dargestellt. Man kann es nicht oft genug sagen: Familie Flöz, das sind die Großmeister der Disziplin Figurentheater. Wie sie den Charakteren, die weder Sprache noch dynamische Mimik besitzen, Leben einhauchen, ist fesselnd zu sehen. In Sekundenschnelle ist man überzeugt, genau solche Menschen bereits erlebt zu haben. Was uns die Körpersprache zu sagen hat, an diesem Abend kann man sich davon überzeugen. Den “Rest” bilden ein wunderbares Bühnenbild mit wandernden Türen, Licht- und Soundeffekten sowie musikalische Einlagen am Theremin und am Piano.

Und damit kommen wir nun zum kritischen Punkt des Ganzen. Dem Stück. Es bleibt vage, man fragt sich, ob die Thematik und die Auseinandersetzung mit ihr wirklich glücklich gewählt war. Zwar gibt es immer wieder Lacher aus dem Publikum, doch Anlass für Heiterkeit bietet “Dr Nest” eigentlich nicht. Muss ja auch nicht sein, aber: Die Eigenheiten der “Patienten” vorzuführen ist ein Balanceakt und wir behaupten an dieser Stelle nicht, dieser sei misslungen. Doch selbst wenn das alles sensibel vor sich geht, so sucht man doch 80 Minuten lang vergeblich nach der Kernaussage, dem Warum und Wozu. Was an Nikolaus Habjans Stücken “F. Zawrel” oder zuletzt “Böhm” so begeisterte, eine klare und zutiefst kritische Botschaft, realisiert mit den Mitteln des Puppentheaters, ein kräftiges Aufrütteln, hier fehlt es. Und das liegt nicht an den Figuren und auch nicht an den Darstellern. Sondern am dahin lavierenden Geschehen, das am Ende doch wieder mit einer kleinen poetischen Szene ins Finale geht, mit dem Glockenspiel von Dr Nest und seinen Mitspielern.

Am Ende bleibt ein ambivalenter Gesamteindruck – und jede Menge Nachdenklichkeit. Die beherzten “Bravo”-Rufe und Standing Ovations von Teilen des Publikums zeigen aber auch, dass man das alles viel positiver sehen kann. Wir freuen uns auf Kommentare – und darauf, Familie Flöz bald wieder erleben zu dürfen.

Foto: © La Strada / Martin Hauer 2018

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