Noga Erez: “Off the Radar”, City Slang 2017
Wow, was für ein starker Auftritt. Noga Erez kommt aus Tel Aviv, wurde vor wenige Tage vor Ausbruch des Golfkriegs geboren und haut einem in ihrer Musik so einiges um die Ohren. Wenn man unbedingt Parallelen und Vergleiche braucht, dann könnte man eventuell M.I.A. bemühen. In Wahrheit wärs aber besser, einfach mal rasch Material von Noga Erez zu sichten. Videos und Songs sind genug zu finden (etwa am Ende dieser Rezension).
Irgendwo zwischen Dancefloor und Hinterhof ist dann die richtige Ecke, um die krachigen Sounds der Israelin auszuleben, die von Krieg und Frieden, dem Leben an sich und dem Tier in dir erzählen. Wie sagte Billboard so treffend: „Exactly where 2017 should be heading sound-wise: political, hard to ignore and almost annoyingly catchy.” Verdammt catchy sogar!
Und jetzt kommt das Beste: Der Haubentaucher vergibt 2 Tickets für Nogas Auftritt im Fluc in Wien am 7. 12. – wie es geht? Steht ab 2. 12. auf unserer hübschen Facebook-Präsenz: https://www.facebook.com/derhaubentaucher/
Xenoula: “Xenoula”, Domino Recording Company 2017
Auch Xenoula, im richtigen Leben: Romy Xeno, ist abseits der pop-musikalischen Zentren groß geworden. In ihrem Fall war es Südafrika und Land sowie Leute haben sie tatsächlich hörbar geprägt. Seit sie 16 Jahre alt ist, lebt sie in Großbritannien, mittlerweile in Wales, doch das Land ihrer Kindheit ist nicht vergessen.
Produziert hat ihr erstes Album Sam Dust aka LA Priest. Was erwartet die werte Zuhörerschaft? Wabbernde Sounds zwischen Reduktion und plötzlich durchbrechender poppiger Opulenz. Traditionelle Percussion wird elektrifiziert, dazu kommt eine glockenhelle Stimme, die nie naiv klingt, sondern irgendetwas unbestimmbar Hintergründiges hat. Menschen, die gerne beklagen, in der Musik passiere nichts mehr Neues sollten dringend diese Platte hören. An der Oberfläche: Bunt, schräg, glitzernd. Darunter: Unkalkulierbar, einzigartig, abgründig. Da könnten sich die besseren der Mainstream-Pop-Prinzessinen wie Miley Cyrus dann doch noch eine Scheibe absäbeln. Großes Debüt!
Liima: “1982” City Slang 2017
Drei Dänen und ein Finne, das sind Liima. Auch sie machen so etwas wie Pop, auch sie haben weit mehr drauf als nur gefällige Sounds zu zimmern. “Ein düster schimmernder Pop-Kristall” sagt der Pressetext und da hat er recht. Sehr nordeuropäisch angelegt, wunderbar an der Grenze zwischen Indie und großer Reichweite.
Wie es sich für eine Band dieser Provenienz auch gehört, sind Bart-, Haar- und sonstige Mode mit “zart skurril” gut umschrieben, wichtiger als Fotoshootings sind dann aber doch die Texte und Melodien und in beiden Punkten reüssieren die vier souverän. “Life is dangerous” geht dabei genauso rein wie “My mind is yours”. Prädikat: Lässig!
Foto: Rasmus Weng Karlsen
The Grizzled Mighty: “Crooked Little Finger”, One RPM Records 2017
Faustine und Ryan kommen aus Seattle und gelten für manche als das spannendste Indie-Duo seit den White Stripes. Die Gitarre wiegt schwer, die Stimme schwebt in lichten Höhen und im Hintergrund drischt eine junge Frau, die gerne Ponchos trägt, in die Drums. Solche Musik darf laut internationalen Richtlinien überhaupt nur in Seattle (allenfalls noch in Portland) gespielt werden. Sonst gibts eins auf die Finger! Dazu kommt bei Faustine und Ryan ein schwer zu erklärendes Faible für Verschrobenheit, das doch hoffentlich wohl nichts mit dem Einsatz illegaler Substanzen zu tun hat. Die Platte fährt wie die Feuerwehr mit Blaulicht durch die verschlafene Vorstadt, in den Presseunterlagen ist sogar von der Hölle zu lesen, aber wir wollen es nicht übertreiben. Einfach eine saugute Scheibe, zu der sich übrigens exzellent Luftgitarre spielen lässt. Live haben wir das im November leider verpasst, wenn wer da draußen bei den zwei Grizzleys war, lasst es uns wissen! Und kauft euch das Album, Leute…
Foto: Stephanie Severance
Ryberski: “Slander, Libel and Love”, Dr. Music Records 2017
Bis zu 12 Leute schmeißen einem bei Ryberski Funk und Soul um die Ohrwascherln. Die Stammbesetzung umfasst immer noch mehr als ein halbes Dutzend sehr versierter Musiker. Neben Gitarre, Bass und Schlagzeug gesellt sich dazu eine mächtige Bläsertruppe, die so richtig Dampf macht. Der Werbetexter würde sagen: “Da bleibt kein Auge trocken und kein Tanzbein unbewegt.”
Nachdem wir in diesem Monat ja viele neuartige Sounds präsentierten, bedienen wir mit der Partie rund um Julian Rybarski (ja, mit “a”!) jetzt eher die Nostalgiker. Positiv aber ist, dass die deutsche Band sich nicht mit den Meriten der Vergangenheit begnügt, sondern immer einen drauf setzt.
Grandbrothers: “Open”. CD, 2LP, digital. City Slang, VÖ 20. 10. 2017
Was ist denn an diesem Album so sensationell, dass es vorab besprochen wird? Nun: Es wurde von zwei Musikern auf einem einzigen Instrument eingespielt. Schwer vorstellbar? Yes. Aber möglich, wie Erol Sarp und Lukas Vogel mit ihrem Konzertflügel beweisen. Kurz zum Hintergrund: Die beiden besuchten das Institut für Musik und Medien in Düsseldorf und lernten einander dort kennen und schätzen. Dann begannen sie mit ihrem Flügel zu experimentieren und so konstruierten sie ein neuartiges System, das mit elektromechanischen Hämmern Klavierkläge mit Percussion verbindet. Auch live funktioniert das mit Computerunterstützung, aber mittlerweile ohne griffbereiten Lötkolben wie noch in den Anfangszeiten. Zu den Fans der Grandbrothers zählt mit Gilles Peterson ein weltgewandter DJ (der auch von FM4 bekannt sein sollte). Das Ergebnis ist nämlich nicht der Klassik zuzuordnen, sondern irgendwo zwischen Lounge, Club und Dancefloor. Manche Tracks setzen stärker auf den Piano-Effekt, andere sind intensiv elektronisch. Spannend ist jeder einzelne. “Open” ist eines der Alben, das man sich selbst zu Weihnachten schenken sollte.