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Musik

Tonträger des Monats / Ö

Olympique: “Chron”, Karmarama / Sony, VÖ 20. 10. 

Schwerer Fehler unser Musikredaktion, Olympique zwar zu kennen und zu schätzen, aber noch nie etwas über das Salzburger/Wiener Duo gebracht zu haben. Aber jetzt geht es gar nicht mehr anders. “Chron” ist ein fettes Prachtstück und bevor wir uns in Zuordnungen und Kategorisierungen verlieren, sagen wir einfach “Electro-Rock-Pop” dazu. Bombastisch, aber nie plump. Verspielt, aber immer auch fokussiert auf den Song. Ein umfassendes, vielfältiges Album, das einen durch den ganzen Tag und durch sämtliche Lebenslagen begleiten kann. Von Wut über Liebe bis zur Sehnsucht nach Freiheit ist alles dabei. Fabian Woschnagg und Nino Ebner sind bereits seit 2004 aktiv, haben ihren ganz großen Moment aber erst 2015 erlebt. Seitdem geht es auf Tour quer durch die Weltgeschichte und die phantastische neue Platte sollte das Publikum weiter vergrößern. Kaufen wird übrigens auch dringend empfohlen, denn mit diesem Teil bekommt man mindestens zwei Alben in einem, so abwechslungsreich ist Olymique 2017. Anspieltipps “Money” (Nr. 9) und der soulig-poppige Indie-Hit in spe “Help” (Nr. 3).

Live am 9.11.17 in Dornbirn, Conrad Sohm, am 10.11.17 in Innsbruck, Hafen, am 11.11.17 in Linz,  Posthof, am 24.11.17 in Graz, p.p.c., am 28.11.17 in Salzburg, Rockhouse, am 29.11.17 im WUK Wien, danach geht es nach Frankfurt , München, Nürnberg, Köln, Hamburg und Berlin.

Foto: Olympique / Mahir Jahmal

Sofa Surfers: “20”, Monscope Productions, VÖ 6. 10. 2017

Großer Vorteil: Die Sofa Surfers muss man hierzulande niemandem mehr vorstellen, deshalb gleich zur Sache: 20 Jahre! Echt jetzt? Sch…, wir werden alt. Die Sofa Surfers detto, nicht aber ihre Musik. Daher ist die neue Scheibe auch nicht als Rückblick angelegt, sondern eher als Mischung aus Bestandsaufnahme plus klärendem Schritt nach vorne. Zuletzt wussten zumindest wir Haubentaucher nicht mehr so genau, wofür das Qualitätsetikett der Surfers eigentlich steht. Das Album ist daher eine Klarstellung: allerbeste Dancefloor-Ware, internationaler geht es kaum, auch die illustren Gäste zeigen das. Was allerdings bei der ersten Konsumption auf der Strecke bleibt: Ein kantiger Charakter.

Man muss sich erst durch die spiegelnde Oberfläche beißen, um dann doch zu entdecken, dass da mehr Substanz ist als man sich auf die Schnelle ertanzen und erhopsen kann. “Feel good” ist genau die richtige Nummer, um das an sich selbst auszuprobieren. Was löst der Song aus, wenn ich ihn mehrmals unter wechselnden Bedingungen spiele? Anderes ist einfach nur von vorne herein großartig, völlig wurscht, ob das alles schon mal irgendwo ansatzweise da war oder nicht. Track Nr. 5 abspielen und nicht mehr davon genug bekommen. Eine Platte, die ein bisschen Zeit zur vollen Entfaltung braucht. Die man aber unbedingt in Besitz nehmen sollte. Live waren die Surfers zuletzt schon in Wien, Salzburg und Graz zu Gast, der Rest des Landes sowie diverse deutsche und tschechische Locations folgen im November und dann wieder ab Februar 2018.

Love God Chaos: “Die Unmöglichkeit des Nichtscheiterns”, Engine Records, VÖ 3. 11. 2017

Das Grazer Quartett ist nicht nur Stammgast auf den heimischen Bühnen, sondern auch  auf unserem kleinen Musikportal. Die neue CD, wie immer begleitet von märchenhaften und außergewöhnlich aufwändigen Videos, startet mit “Alles Cellophan“, einer Nummer, die fast ein wenig an golden-kunststoffige NDW-Zeiten erinnert.

Dann wird es rockig (“Eskalation, bitte”), singersongwriter-mäßig (“Let’s get the fuck out of here”), bis wohl endgültig der wahre Kracher kommt: “Espíritu“.Was folgt: Indie-Pop mit Affinität zum Osten, eine schön getragene Coverversion von Bowies Helden und einiges mehr an Gefühlsausbrüchen, die keine Angst vor Retro-Momenten haben.

Eine feine Sache, besonders als angreifbarer Tonträger, denn im CD-Booklet verbirgt sich unter anderem ein charmantes Foto der vier Herren mit ihren Müttern an den jeweiligen Instrumenten. Ätsch: Gar nicht gescheitert!


Like Elephants: “Between Dreams and Truth”, LasVegas Records / Universal Music, 
VÖ 27. 10. 2017

Üblicherweise sagen wir Platten- und PR-Firmen gerne höflich, aber bestimmt ab, wenn sie mit Singles oder EPs daher kommen. Zu viele Neuerscheinungen für unsere kleine Redaktion. Was uns hier aber umgestimmt hat: 1) die Erwähnung des Produzenten Christofer Frank. Denn der Mann hatte zuletzt seine Finger sehr oft im Spiel, wenn es richtig gut wurde. Viech, Polkov oder Farewell Dear Ghost mögen als Beleg dafür ausreichen. 2) Der originelle Synthie-Sound der fünf Oberösterreicher nimmt einen erstaunlich schnell gefangen. Mann, das ist richtig großer Pop mit drei Rufzeichen. Nicht nur rund um Halloween empfehlen wir als erste Kostprobe “Ghost”. Sollte demnächst ganz offiziell auf Youtube zu finden sein.

Der erste Longplayer ist für Frühjahr 2018 angekündigt und ehrlich: wir freuen uns schon! 

Vienna Rest in Peace: “Vienna Rest in Peace”, Trauerplatten, VÖ Allerheiligen 2017

Mit uns kann man es ja machen. Wer einst die Vorliebe zum “Letzten Lied” in Buchform als Co-Herausgeber dokumentiert hat und sich kürzlich sogar ein T-Shirt des Wiener Bestattungsmuseums bestellt hat, ist natürlich für so was höchst empfänglich.

Aber: Diese Platte ist nicht nur vordergründig spaßig-schaurig, sondern auch richtig schön hinterfotzig – und vor allem: wienerischer gehts sowieso kaum mehr. Eine skurille (Anti-)Hommage an Peter Handke, die verhatschte Hymne “Sterbenswerte Stadt” und das sumpfig-kinderpoppige “Staat der Affen“, all das und noch viel mehr gibt es auf dem ersten Album der neuen Band, die es offenbar vorzieht als “anonyme Melancholiker” behandelt zu werden.

Wer die verschrobenen Poesie-Welten von Viech und Paul Plut (zu letzterem auch weiter unten!), aber auch den dunklen Meister Molden mag, der ist hier genau richtig. Wir hoffen auf viele weitere Trauerplatten und vielleicht auch mal auf einen dezenten Gig von Vienna Rest in Peace. Wie wärs, sehen wir uns mal im Jenseits?

Postman: “Home”, Cut Surface Records, VÖ 20. 10. 2017

Das könnte man durchaus konsequent nennen: vier (Fast-)Architekten aus Linz, die sich dann doch der Musik und der Kunst im allgemeinen verschrieben, nennen ihr Album “Home”. Da wird dann im Pressetext munter Rem Koolhaas und Mies van der Rohe zitiert und originellerweise ergibt das alles dann auch wirklich irgendwie Sinn. Als sehr konstruierten Minimal Pop könnte man das bezeichnen, was da an grellen Synthie-Sounds daher kommt. Reduziert, aber dann halt doch auch poppig und verspielt. Und: Die Linzer Schule der späten 80er und 90er Jahre kann man auch erahnen.

Der Gesang hängt freilich irgendwie unmotiviert in der Luft, vielleicht soll das an DIY und Art Rock angelehnt sein, aber uns kommt es spätestens bei der vierten Nummer schon reichlich unangenehm vor.

Sorry, aber in diesem Zuhause würden wir ziemlich oft Kopfhörer tragen.

Ebow: “Komplexität”, Problembär Records, VÖ 17. 11. 2017

Oho, das startet stark! Und lässt nicht nach. Die Rapperin Ebow haut gewaltige Reime raus irgendwo zwischen Osten und dem noch immer nicht untergegangenen Westen. Etliche Produzenten unterschiedlicher Schulen waren da am Werk. Rap und R’n’B gehen eine fruchtbare Liaison ein, dazwischen darf es sogar sanft werden. Deutsche Texte werden gemixt mit erfrischendem Vokabular aus allerlei Welten und Kulturen. An Einflüssen nennt sie 2PAC, M.I.A. und Rio Reiser (!).

Ebow hat eine Menge Erfahrung mit Guerrilla-Performances in Münchner Lokalitäten, Supermärkten, Bims und Waschsalons. Mit “Komplexität” liefert sie den urbanen Soundtrack für alle, die sich nicht zu Tode fürchten, weder vor Menschen mit Migrationsbackground noch vor rechtsrechten Demagogen. Eine Superplatte.

Also: Bleibt cool Leute, zeigt Charakter, hört Ebow. Live geht das am 17.11.2017 im Flex, Wien mit Squalloscope und am 24.11.2017 im Downtown Flash in München.

Nikolaj Efendi: “Temper”, Dramatic Pause, VÖ 22. 9. 2017

“Als ob Leonard Cohen und die Einstürzenden Neubauten Fieberträume vertonten”, der schöne Satz steht unter anderem auf der Website von Nikolaj Efendi und ganz daneben ist er nicht. Der Kärntner Slowene, der heute in Wien lebt, ist nicht nur ein exzellenter Songschreiber und Sänger, er denkt auch gern in größeren Zusammenhängen und hat “Temper” daher als Gesamtkonzept mit Platte und Buch angelegt.

Zur Jahreszeit passend wird man hier kaum unmotiviertes Scherzkekstum finden, das “Temper-ament” ist an Dylan, Cave und anderen Großmeistern der düsteren Grundstimmung orientiert. Die E-Gitarre dominiert gegenüber früheren Songs, die stärker aus der Folk-Richtung kamen. Der theatralische Duktus ist Absicht, die Platte ähnelt fast einem Hörspiel.

Erzählt wird eine Geschichte von verschiedenen Abschiedssituationen. Wer sich für dieses Album entscheidet, wird vielleicht die originellste Neuerscheinung des heurigen Herbsts in Händen halten. Man könnte aber auch vorsichtshalber zuerst “probehören”:

Linz, Stadtwerkstatt –  4.11.2017
Graz, Postgarage – 9.11.2017
Klagenfurt, ((stereo)) – 10.11.2017
Bregenz, M4 – 11.11.2017
Innsbruck, Treibhaus – 12.11.2017
Ljubljana, Prulcek – 17.11.2017
Wien, B72 – 23.11.2017

Paul Plut: “Lieder vom Tanzen und Sterben”, Phonotron, VÖ 17. 11. 2017

Der Wahlgrazer hat sein Versprechen wahr gemacht und aus einer Konzertreihe und stückweise veröffentlichtem Liedgut ein Album gezimmert. Grundlose Fröhlichkeit ist das seine auch nicht, das eint den Plut mit dem Efendi. Der Titel der Platte passt natürlich nicht nur zu Allerheiligen, sondern für dunkel gestimmte Seelen das ganze Jahr über. Aber Plut wird darob nicht mieselsüchtig, seine Lieder haben Kraft, seine Stimme sowieso.

In seinem sehr eigenen Universum grummelt, dröhnt, murmelt, zischelt, brummt der Bär von einem Mann mit der charakteristischen Gesichtsbehaarung wie kein zweiter. “Vota, verloss mi jetzt net!”, das kann man biblisch interpretieren oder sehr persönlich nehmen. Den Dialekt braucht er, damit ihn am Ende nicht der Teifi holt, sondern eine verquere Erlösung über ihn kommt. Prädikat: Gesamtkunstwerk.

Live demnächst wieder am 8. 11. in Wien in der Sargfabrik, am 17. 11. im Orpheum in Graz. 

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