Bevor im Herbst die internationalen Bands wieder ausschwärmen, setzen wir im September vorwiegend auf heimisches Musikschaffen. Los geht’s mit einer gut abgehangenen Partie aus der schönen Wiener Stadt.
Harlequin’s Glance: „Pain and Ectasy“, Lindo Rec. VÖ: 29. 9. 2017
Sch…, wie die Zeit vergeht. Das merkt man zum Beispiel, wenn man nachschaut, wann man zum letzten Mal eine Platte von Harlequin’s Glance gehört und besprochen hat – und dann checkt: Es war 2012!
Wir wissen nicht genau, was die fünf Herren aus Wien in der Zwischenzeit so getrieben haben, aber was wir hören: Das Projekt, das bereits seit 1995 existiert, hat sich angenehm weiter entwickelt. „Rumpelnde Beatnik-Polka“ nannten die Kollegen im Wiener das einmal und viel besser kann man es nicht zusammenfassen. Klar: ein bisschen Tom Waits kann man ebenso heraushören wie geigen-zentrierten Folk und Blues. Interessanter ist es, sich die Instrumentenliste anzusehen, die Gernot Feldner, Alex Gantz, Stephan Steiner, Daniel Klemmer und Martin Mixan abarbeiten. Da ist neben den üblichen Verdächtigen auch ein Xylophon, Nyckelharpa und ein „Double Bass“ am Werk. Jede Nummer verfolgt einen eigenen Weg, dennoch ist die Platte ein konsistentes Stück wunderbarer Musik. Sehr gelungen!
Live wird „Pain and Ecstasy“ am 30. 9. im Wiener Reigen präsentiert.
Foto: Harlequin’s Glance / A. Gantz
Berghold: „Banalität Diät“ VÖ: 22. 9. 2017
Der gebürtige Grambacher René Berghold ist in erster Linie (bildender) Künstler, der einen schrägen Mix aus Materialien und Ideen produziert. Sein Album ist nicht weniger aus der Norm gefallen. Es beginnt instrumentell und driftet dann quer durch die heimische Musiklandschaft.
„Die Frau vom Oligarchen“ geht in Richtung Singer-Songwriter. „Du gehst ma nie am Oarsch“ ist dann fast ein unschuldig poppiges Liebeslied. Doch schon die nächste Nummer ist aggressiver und heißt entsprechend „nur am Oarsch“.
An die 10 heimische Musiker sollen bei „Banalität Diät“ mitgewirkt haben und so verdichtet sich die Platte auch Stück für Stück zu so etwas wie Indie-Power-Pop mit deutlichem Austro-Einschlag. Bezeichnender Songtitel: „Die Hoffnung stirbt zurecht“. Aber nicht die Hoffnung, dass auch für ein Projekt wie dieses noch Platz ist auf den kleineren Bühnen dieses Landes. Auf der Website gibt es ab und zu was Neues vom Berghold. Und überraschenderweise findet sich sogar eine Facebook-Präsenz.
Ansa Sauermann: Weiße Liebe. Columbia / Sony VÖ 18. 8. 2017
Im Jänner diesen Jahres besprachen wir das erste Mal eine EP dieses Künstlers und meinten euphorisiert: „2017 könnte das Jahr des jungen Herrn Sauermann werden.“ Nun ist die LP da und irgendwie ist die ganz große Resonanz außerhalb von Magazinen wie The Gap noch ausgeblieben – oder haben wir da was übersehen? Vielleicht kommt das ja demnächst oder aber das Werk ist doch etwas zu eigenwillig für die Radio- und Meinungsmacher. Uns gefällt es jedenfalls ausnehmend gut. Okay, es ist nicht wirklich hip. Und manches erinnert echt ziemlich an Marius Müller-Westernhagen oder an Rio Reiser.
Aber: erstens ist das aber einfach sehr ordentlicher Rock und zweitens schreibt hier jemand hinreißende Texte. Man möchte nicht glauben, dass da einer seinen ersten Longplayer herausbringt, so abgebrüht klingt der gute Ansa mittlerweile. Sauermann kommt aus Dresden, das Werk passt aber auch sehr super in die Eckkneipe nach Berlin, Hamburg, Wien oder Graz. Oder halt für unterwegs. Apropos: Die vielleicht schönste Nummer, die Ansa bisher geschrieben hat, heißt „Reise“ und läuft bei uns hier in der Redaktion in Dauerschleife. Nächste Chance, Herrn Sauermann live zu sehen: 15. 9. in Salzburg.
hidden by the grapes: „Graben“. Wohnzimmer Records, VÖ 30. 6. 2017
Die drei Herren aus Graz haben in den vergangenen etwas mehr als 10 Jahren drei Alben und einiges an hübschem krachendem Kleinzeug produziert, waren mehr als 250 mal in Europa auf der Bühne und zweimal in den USA unterwegs. Alle Achtung! Wer Vorgängerwerke kennt, wird dennoch überrascht sein. Neues Design, neue Produzenten und ein Sound, der definitiv nicht stehen geblieben ist.
Aufgenommen wurde „Graben“ in einem alten Haus in der Nähe von Graz, den letzten Schliff bekam die Platte bei niemand Geringerem als Pete Maher in London. 2012 haben wir Nirvana als Referenz herangezogen. 2013 waren wir schon bei Vergleichen mit Sonic Youth und Dinosaur Jr. – und 2017?
Hören wir einfach, wie sich da etwas aufbaut und dann erst einmal mehr auf den Gesang gesetzt wird anstatt gleich los zu fetzen. Der reifere Grundtenor tut der Sache grundsätzlich gut. Zu hören war das früher allerdings ein Spürchen leichter, jetzt gibt es viele ruhige Stellen und die Songs brauchen etliche Minuten für ihre Evolution. Also vielleicht nicht die erste Wahl für den CD-Player bei der Autofahrt – wohl aber für viele andere Gelegenheiten. Die einschlägige Musikpresse zeigt sich sehr angetan, dennoch wird das Massenpublikum nie von dieser Band erfahren. Übrigens: Lassen Sie sich nicht von dem hübschen bunten Bandfoto irritieren, hier ist nach wie vor eine düstere und raue Wall of Sound versteckt.
Foto: © Clemens Franke
Satuo: „Earned“ Lindo Rec. / Hoanzl VÖ: 11. 8. 2017
Auch die österreichisch-finnisch-italienische Band aus Wien haben wir hier schon vorgestellt. Die neue Platte setzt dort fort, wo der gleichnamige Vorgänger geendet hat. Eine kleine personelle Umbesetzung haben wir allerdings bemerkt und auch, dass der Rock-Anteil gegenüber dem Folk dazu gewonnen hat. Besonders begeistert uns das knochentrockene Banjo, das immer wieder zu hören ist. Das meiste wird in englischer Sprache dargeboten, es finden sich aber auch wieder österreichische und finnische Traditionals.
Damit ist Satuo bereits das Kunststück gelungen, zugleich auf Ö1 und auf FM4 gespielt zu werden. Wirklich gut passt die neue Platte aber auch auf dezent dimensionierte Open-air-Bühnen, in Pubs und ganz simpel ins eigene Wohnzimmer. Nachdem man im Vorjahr eine große Tournee mit 19 Konzernten in 8 Nationen absolviert hat, ist man nun so richtig eingespielt, um jederzeit Schwung in den Abend zu zaubern. Wer genauer hinhört, wird übrigens auch klare Positionierungen zu Themen wie Freiheit auf der Platte finden. Manchmal halt zwischen den Zeilen. Klasse! Und live am 23. 9. in Syrnau Zwettl, danach in unterscheidlicher Besetzung dreimal im Wiener Raum. Näheres auf www.satuo.at
EINFACHSO: „TakTak“, EP Futuresfuture, VÖ: 4. 8. 2017
Die kurzen Scheiben besprechen wir üblicherweise ja gar nicht mehr, zuviel Material strömt da auf einen ein. Bei diesem jungen Mann machen wir aber ganz bewusst eine Ausnahme.
EINFACHSO ist 19 (!) und polnisches Blut fließt in seinen Adern. Prägend ist vor allem aber auch der Wiener Prater, der Kräuterschnaps mit dem Hirschen drauf und auch das eine oder andere Graserl. Das Ergebnis, produziert von Jugo Ürdens, der sich gerade nicht über mangelnde (mediale) Aufmerksamkeit beschweren kann, hat brachiale Wirkung. Das ist wirklich Rap, wie er einst gedacht war. Schnell, hart, gar nicht peinlich, trotz Macho-Posen (die sind wahrscheinlich heute eh schon ironisch gemeint). Dann aber auch wieder slow, immer im perfekten Reimschema ohne hoppertatschiges A-B-A-B.
Wenn der Kerl so weitermacht, wird er bald nicht mehr mit dem „Citybike“ unterwegs sein, sondern mit dem gepimpten Hiphop-Maserati. Zum Reinhören was Flottes und Verbotenes aus der Kräuter-Abteilung. Respekt, Junge!