Bruch: „The Lottery“, Digital / Vinyl, erschienen bei Cut Surface
Die dritte Solo-LP von Philipp Hanich aus Wien, der sich gerne Bruch nennt, klingt vom ersten Moment an spannend – irgendwie nach einer außerordentlich coolen Version von Bowie trifft Iggy trifft Depeche Mode trifft… vor allem das Jahr 2017!
Das perfekte Etikett? Wir suchen noch danach. Jedenfalls ist „The Lottery“ genau gar nicht das, was man momentan so unter Austria / Indie / Wien vermuten würde. Sondern: Tanzbar, dark, international orientiert. Ohne jedes Schielen auf hiesige Charts oder Verkaufszahlen, auf grummelige Wiener Dialekt-Hypes und dergleichen. Auch weit weg von der bei uns doch ziemlich stark ausgeprägten Singer-Songwriter-Ecke. Macht sich aber gerade deswegen sehr gut im Club, auf der einsamen Landstraße oder im kuschelig düsteren Wohnzimmer. Stark, eigenständig und zugleich vielfältig präsentieren sich die 13 Songs, die zumeist englische Texte haben. Sehr erfreulich, dass so was heute produziert wird. Unsere Empfehlung an alle, die auch abseits des Formatradios Musik hören wollen: Kaufen, am besten auf klassischem Vinyl!
T der Bär: „Bienenwolf“, Vinyl-LP mit 2 Bonus-Tracks, Digital, Rummelplatz Musik 2016
Eigenständig, tanzbar? Das kann der Bär auch! Der aus Funk und Spaß-Fernsehen dann doch schon einigermaßen bekannte deutsche Alleinunterhalter, Producer, Texter, Rapper, Musiker hat einen gewaltig schrägen Zugang zu HipHop, wobei: So ganz allein ist er damit nicht in der deutschen Musikhistorie. Aber für Leute, die Seeed oder Deichkind schon für das Maß aller Dinge halten, hat der Bär noch ein paar handfeste Lektionen vorbereitet. Mit angerauter Stimme wird hin und her gereimt, dass es nur so eine Freude ist. Aber nichts mit haltlos guter Laune: „Scheiß auf liebliche Melodien“, brummelt der Mann vor sich hin, ehe er sich wieder in die nächste Scratch-Einheit stürzt. „Ich werde nie mehr, nie mehr lachen“, auch das ist Teil des Programms. In Wahrheit spielt der Berliner mit Rap-Klischees ebenso lust- und humorvoll wie mit deutschem Vokabular. „Es lag ein Haufen Beats im Studio. Ich habe sie poliert, sortiert und ein paar Texte geschrieben“, so schildert es der MC selbst auf seiner Facebook-Präsenz. Ein Augenschmaus ist übrigens das Honig-Toast-Cover. Und nicht nur das spricht für die fette Vinyl-Version und gegen die schon vor längerem erschienene CD. „Klingt gut, will ich haben“ heißt es im Song „Prärie“. Dem können wir uns nur anschließen…
Lepenik: „Antilope“. CD pumpkin records 2016
Also wenn hier wirklich jemand schräge Töne produziert, dann ist das ja wohl der Grazer Robert Lepenik. Von den „Striggles“ bis zu den wenig der Harmonie verpflichteten „Gitarren der Liebe“ reicht sein Werk der vergangenen Jahre. Plus Musik für Theater und diverse Kooperationen. Diesmal geht es lowest budget zu. Heißt: Flohmarkt-Instrumente plus Kinderkeyboards von Casio sorgen für einen erstaunlich poppig-struppigen Sound. Grenzgenial etwa der Song „Mutter & Geld“, der uns Altvordere an die NDW-Zeit erinnert. Nicht nur der seltsamen, aber hypnotisch-verlockenden Musik wegen sollte man sich die „Antilope“ übrigens zulegen. Das Ding ist ein Gesamtkunstwerk, die Texte stammen unter anderem von Johannes Schrettle, Simon Windisch und Wolfgang Pollanz, die grafische Gestaltung von Philip Prugger ist 1a mit Sternderl.
Ansa Sauermann: „Reise“ Columbia/Sony EP 2016
2017 könnte das Jahr des jungen Herrn Sauermann werden. Sein Wiener Management hat für heuer eine LP angekündigt und vorher noch rasch eine EP mit vier Tracks auf den Markt gebracht, die schon ziemlich viel Lust auf mehr macht. In den Presseunterlagen ist zu lesen, dass der Erfolgsproduzent Paul Gallister (bekannt u.a. von Wanda, der Nino) seine Hände im Spiel hatte – und das erklärt dann auch, warum „Reise“ von den ersten Takten an so dermaßen gut funktioniert. Ansa kommt aus Dresden, ist sehr jung, hat längeres Haupthaar und wirkt zugleich entschlossen wie auch ungemein sympathisch. Erste ausverkaufte Konzerte in Deutschland hat der Mann bereits hinter sich, weitere werden folgen. Als Inspirationsquellen gibt man Rio Reiser, Springsteen, Lindenberg, Element of Crime und auch den Nino an. Am ehesten erinnern Stimme und Texte an den frühen Marius Müller-Westernhagen und den immer guten Sven Regener, vielleicht auch ein bisschen an die leider viel zu früh dahin gegangene Band Kid Kopphausen. Rock mit deutschen Vocals also und eher ohne die Vorsilbe Indie-, in der Zone zwischen Hymne, Ballade und einfachem Song. Ein wunderbarer Vorgeschmack auf das, was da noch kommen wird, ist die Nummer „Geist“. Wenn das nicht demnächst auf allen anständigen Radiosendern rauf unter runter gespielt wird, verstehen wir die Welt nicht mehr. Chapeau!
„Lauter. Bücher“ Compilation by Redelsteiner Dahimène Edition, Problembär records & Seayou Entertainment
Zum Abschluss noch etwas wirklich Originelles: Ein Buchverlag, der keine Bücher macht. Dafür aber ein Album. Passiert ist das der Redelsteiner Dahimène Edition, die 2016 ungedruckt durchs Jahr ging. Mit Unterstützung von einigen hier oft und gerne genannten Kulturmachern, namentlich Problembär und Seayou, beschloss man statt dessen eine CD zu produzieren, die Literatur mit Musik verbindet. Zu hören sind AutorInnen wie Todor Ovtcharov (bekannt u.a. von FM4), Bogumil Balkansky oder Stefanie Sargnagel ebenso wie Musikschaffende – von Fuzzman über Worried Man & Worried Boy bis zu Voodoo Jürgens. Das wär jetzt natürlich perfekt für Weihnachten gewesen, aber richtig gute Freunde und Bekannte haben sich so was durchaus auch unter dem Jahr verdient. Oder man tut was noch Gescheiteres und kauft sich das Werk einfach für sich selbst. Am schönsten wär ja noch eine Vinyl-Version für wahre Conaisseure, aber das wäre für den jungen Verlag vielleicht doch noch etwas zuviel Aufwand. Apropos: 2017 wird die Edition dann auch wieder Bücher publizieren. Und Audiobooks.