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herbstblog 6: Krieg im Sitzen

„Guerrilla“ von El Conde de Torrefiel

Nachdem das Publikum endlich im Orpheum Platz genommen hat, passiert erst einmal eine Runde lang gar nichts. Dann wird die Szenerie gespiegelt. Auf der Bühne stehen ebenfalls Sitzreihen. Peu á peu trudeln Darstellerinnen und Darsteller ein, suchen nach einem freien Platz, spielen mit dem Mobiltelefon herum, unterhalten sich, begrüßen Nachkommende. Das ist in der Theatergeschichte zwar keine gänzlich neue Idee, aber doch sehr überzeugend realisiert. Die Zuseher auf der Bühne lauschen in der Folge dem Vortrag eines italienischen Theaterzampanos.

So will es zumindest das Konzept, das die Schweizerin Tanya Beyeler und der Spanier Pablo Gisbert unter dem Signet „El Conde de Torrefiel“ in Szene gesetzt haben. Dabei bedienen sie sich einer großen Gruppe von jungen Einheimischen, einige davon werden mit ihrem Anfangsbuchstaben und einem Teil ihrer Biographie vorgestellt. Während nun Italienisches vom Band läuft und das Bühnenpublikum den Worten Gehör schenkt, lesen die herbst-Besucher auf einer Projektionswand über dem Geschehen allerlei Texte. Ein Teil davon wurde in Workshops mit den Darstellern erarbeitet und soll die Gedanken und Ängste der jungen Generation thematisieren. Das Spektrum reicht von persönlichen Episoden bis zu zeitgeschichtlichen und (küchen-)philosophischen Erörterungen.

Leider hat der herbst auf ein Lektorat verzichtet, das nicht nur zahlreiche das-dass Fehler in den Texten gefunden hätte, sondern auch darauf aufmerksam machen hätte können, dass an einer Stelle die Person E plötzlich zur Person T mutiert. Dann wird ein bisschen „getanzt“ und zwar im Rahmen einer mehr oder weniger überzeugenden Tai-Chi-Einheit. Wir erfahren, dass im Jahr 2030 ein großer Krieg ausbrechen wird, dass sich China und Russland gegen den Rest der Welt verbündet haben, wissen aber noch immer nicht, warum das Stück den Titel „Guerrilla“ trägt.

Dann wird noch mehr getanzt, nämlich bei einem Rave in der Seifenfabrik. Eine große Gruppe auf dem hinteren Teil der Bühne verbringt die nächste halbe Stunde damit, zu ohrenbetäubendem Techno-Sound herum zu hopsen. Zwei Reihen vor mir hat das Rave-Fieber eine Besucherin gepackt, die ekstatisch in ihrem Sessel mit „tanzt“. Das Gros des Publikums scheint freilich eher verwirrt bis fassungslos über das Geschehen. Die Texte thematisieren weiter den drohenden Krieg und endlich gibt es auch so etwas wie einen lichten Moment. Der Großvater erklärt T., dass die Welt von der Wirtschaft dominiert wird. Alles sei durchökonomisiert. Außer eines: Die Langeweile.

Nach dieser Erkenntnis geht es noch eine Zeitlang dahin. Am Ende ist man über die ausgegebenen Ohrenstöpsel froh und über die Tatsache, dass das Stück nicht länger als die angekündigten 90 Minuten gedauert hat. Die Idee an sich ist nett, aber leider nicht konsequent umgesetzt. Hätte das Regie-Duo die Theaterhistorie besser studiert, wäre man unter anderem auf Landsleute gestoßen wie Fura dels Baus. Und dann hätte man gemerkt, dass man ein Stück auch anders erleben kann als im Sitzen. Man stelle sich vor, im Orpheum wären nur die hinteren Reihen bestuhlt gewesen. Dann hätte sich ein Teil des Publikums nach vorne orientiert und wäre so unmittelbar ins Geschehen eingetaucht. Der andere Teil wäre allerdings vorzeitig nach Hause gegangen – und das Risiko wollte El Conde de Torrefiel offenbar nicht eingehen.

Noch zu sehen am SA, 15. 10. um 19.30 im Orpheum Graz.
Fotos: steirischer herbst, wolf silveri

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