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Roman des Monats: Der goldene Handschuh

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Rowohlt Verlag

  

„Verlangen ist die Quelle aller Konflikte, aller Massaker, allen Leids, ein Feuer des Bösen. Er rennt, so schnell er kann, und macht dabei hohle und behinderte Geräusche, und auch sein kleines, rotes Herz kann springen und tanzen und hüpfen, wie es will, es hat keine Chance, absolut keine, jedenfalls nicht mehr in diesem Leben“, schreibt Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk in seinem Buch „Der goldene Handschuh“ über seinen Protagonisten Fritz Honka. Primär ist Heinz „Heinzer“ Strunk ein norddeutscher Entertainer (zusammen mit Jacques Palminger und Rocko Schamoni bildet er das humoristische Trio „Studio Braun“, mit Stermann & Grissemann spielt er im Film „Immer nie am Meer“) und darüber hinaus Autor mehrerer unterhaltsamer Bücher („Fleisch ist mein Gemüse“, „Die Zunge Europas“…). 

Im Gegensatz zu seinen bisherigen autobiographischen Büchern gelingt es Strunk nun, sich vom selbstauferlegten Kreuz zu lösen und in erzählerischer Höchstform, mit historischer Präzision und berührendem Mitgefühl ein Meisterwerk der Zumutung zu erschaffen.

Fritz „Fiete“ Honka gab es wirklich, und er ist der drastisch gescheiterte Anti-Held dieser Lebensgeschichte. Honka vegetierte zwischen Alkohol-Exzessen, traurigem Elend und krankem Sexualverlangen in der Hamburger Kiez-Kneipe „Der goldene Handschuh“ und erlangte durch vier brutale Frauenmorde in den Jahren 1970 – 1975 eine gewisse Berühmtheit in und um Hamburg. Der alkoholabhängige Fiete verbrachte (fast) sein ganzes Leben in Absturzkneipen wie dem „Handschuh“, wo er die weiblichen Opfer kennenlernte, ihnen jeglichen eigenen Willen, jede Persönlichkeit, absprach und sie brutal ermordete. Bei Heinz Strunks Werk handelt es sich jedoch nicht um eine Dokumentation eines Serienkillers, da die Morde nur einen Bruchteil der Geschichte darstellen. Stattdessen beschreibt der Autor gescheiterte Männer und Frauen aus dem harten Trinkermilieu: kaputte Sklaven ihrer Abhängigkeit und vergessene, deprimierte Menschen unserer Gesellschaft. Diese düstere und unendlich traurige Beschreibung ist zentraler als die eher am Rande erwähnten Tötungen.

Parallel gibt es weitere Handlungsstränge, deren Sinn sich anfangs nicht erschließt, die jedoch in unterschiedlichen Erzählschritten am Ende des Buches zusammengeführt werden. Z.B. die Geschichte einer fiktiven, ehemals reichen Familie und eines verwanden Anwalts aus der Hansestadt, die ihre besten Zeiten hinter sich haben.  Obwohl sie keine Morde wie Fritz Honka begehen, sind auch sie gescheiterte Menschen, die der Wunsch nach persönlichem Glück vereint.

Zwischen Nachtwelt am Kiez, unmenschlichen Abbruchquartieren und noblen Elbvororten, irgendwo neben versoffenem Kneipenspruch und leidender Suff-Philosophie, begleitet von verlorenen Seelen, präsentiert der Autor einen kraftvollen und schockierenden Roman, hinterlässt einen gewissen Ekel und doch auch einen (angenehmen?) Schockzustand bei der Leserschaft. Zum Beispiel die Zeilen: “Sage, was wahr ist, trinke, was klar ist, iss, was gar ist, sammle, was rar ist, und vögle was da ist, haha. Anders gesagt: Ein Mensch ohne Träume is wie een Boot ohne Segel. Du da, büst du mall? Nich einpennen, oder ick schmiet die lieks mit een Pantuffel, hahaha…” klingen anfangs vielleicht plump, gehen dann aber doch direkt in Kopf, Herz und Gliedmaßen.


„Der goldene Handschuh“ orientiert sich an den Stärken von Heinz Strunk. „Heinzer“ ist ein trockener und präziser Erzähler, gescheiterte Existenzen tauchen regelmäßig in seinen Büchern auf. Hier trifft er wortwörtlich den Nagel auf den Kopf und liefert ein außergewöhnliches Werk ab. Der hanseatische Dialekt passt ausgezeichnet zu den traurigen Figuren und Strunks Detailtreue und die präzise Sprache sind dramatisch erbarmungslos – aber nie wertend oder herablassend.
Heinz Strunk überzeugt in seinem Roman durch Zumutung, Empathie, Leiden, Komik und Authentizität. Diese Geschichte versprüht üblen Gestank, der sich in jede Pore der Haut einnistet. Seine Beschreibungen der Interaktionen von Täter und Opfer erinnern an Heinz Sobota („Der Minus-Mann“), seine dreckige Sprache an Charles Bukowski („Fuck Machine“) und die absurd-witzigen Dialoge und Orte an Antony Burgess („A Glockwork Orange“).

Text und Foto: Haubentaucher Gastautor aL

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