Kategorien
Romane

Roman des Monats: Reisen im Licht der Sterne

Alex Capus: „Reisen im Licht der Sterne“, Carl Hanser Verlag 2015
“In jenen Weihnachtstagen haben sich also der Missionar William Clarke und Robert Louis Stevenson gleich derart miteinander angefreundet, dass sie zusammen auf Entdeckungsreise gingen. In genau jenen Tagen war es, da Louis beschloss, sich für immer auf Samoa niederzulassen; ein sonderbarer Entschluss, auf den zuvor nichts hingedeutet hatte. Weshalb fand er, der sich in jungen Jahren dem Atheismus zugewandt hatte, ausgerechnet an einem bärtigen Missionar auf Samoa Gefallen? Was waren Anlass und Ziel des Ausflugs, und wie lange dauerte er? Und welche Art Entdeckungen, die man zu machen hoffte, würde sie treffen? Und was entdeckten die zwei Freunde auf dieser Reise tatsächlich?”
Die Hauptfigur in Alex Capus neuem Roman ist ein gewisser Robert Louis Stevenson – auch bekannt als Autor der „Schatzinsel“ (1883). „Reisen im Licht der Sterne“ zeigt wieder einmal, dass Capus ein meisterhafter Erzähler ist. Aber mal langsam. Wer die oben gestellten Fragen beantworten kann, wird gleich mit neuen Fragen konfrontiert. Ist das neue Werk von Capus eine Biografie eines Schriftstellers, ein Historienroman, eine Familiensaga oder einfach eine Abenteuergeschichte? Quer durch alle Möglichkeiten spannt der Schriftsteller eine große Geschichte über einen kränklichen R. L. Stevenson und sein Leben. Umrahmt von unzähligen Nebenschauplätzen und kürzeren Erzählungen fügt sich das Bild des Hauptcharakters und der eigentlichen Story zusammen. Spätestens seit „Léon und Louise“ oder „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ steht Alex Capus für perfekt recherchierte Geschichten, die auch ans Herz gehen.
In knappen 200 Seiten nimmt er uns diesmal mit auf eine Reise in die Südsee, nach London, San Francisco, Davos oder auch zur oben genannten (falschen und zur richtigen) Schatzinsel mit. Wir besuchen Cocos Island und begeben uns auf die Suche nach dem Kirchenschatz von Lima. Irgendwo zwischen Goldgräberstimmung und Fernweh lernt die aufmerksame Leserschaft neben den Hauptakteuren auch weitere interessante und schicksalserprobte Charaktere kennen. „Reisen im Licht der Sterne“ begleitet so unter anderem einen besessenen Schatzsucher namens August Gissler, einen Kobold in der Flasche oder den Atem, der vom Meer her kam. Zwischen genauen Jahreszahlen, historischen Fakten aber auch bloßen Vermutungen lernen wir Stevenson näher kennen und können eine neue Facette seines abenteuerlichen Lebens erfahren.
Capus’ Liebe zum Detail ist bemerkenswert. Er ist ein großer Erzähler, der den Leser am Kragen packt und ihn in seine Geschichten vom geheimnisvollen Leben, die dunkel, dreckig und böse, aber auch wunderschön, intim und zerbrechlich sein können, hineinzieht – mit einem spannenden, konsequenten und ambitionierten Masterplan als Überbau der Geschichte. Einziger Schwachpunkt ist die Länge des Buchs. Mit „nur“ 205 Seiten kommt das neue Werk von Alex Capus von der Wucht her nicht ganz an seine letzten Werke heran. Dennoch erinnert auch dieser Roman in seinen besten Momenten an den wunderbaren Robert Seethaler („Ein ganzes Leben“, „Der Trafikant“). Capus Bücher sind poetisch – und dabei oft schroff und feinfühlig zugleich. Nur wenigen deutschsprachigen Autoren gelingt das Kunstwerk, ein so vielschichtiges Buch über eine schlichte Geschichte zu schreiben. Alex Capus ist einer davon.
Haubentaucher-Gastkritiker aL

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert