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herbstblog 2012 / Teil 1: Die Beförderung der Lügner

Es geht im heurigen steirischen herbst bekanntlich schwerpunktmäßig um Politik und die Suche nach der Wahrheit. Künstlerisch kann man das kaum nüchterner und doch zugleich verstörender thematisieren als die russische Gruppe Teatr.doc mit dem Stück “1 Stunde und 18 Minuten”.

Verhandelt wird ein realer Fall. Der Wirtschaftsprüfer Sergey Magnitskiy entdeckt einen gewaltigen Steuerbetrug, wird aber von den Behörden im Handumdrehen zum möglichen Täter gemächt. Er landet hinter Gittern und wird systematisch misshandelt respektive nicht behandelt. Im November 2009 stirbt er noch vor dem Prozess an einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse und den Folgen der von oben verordneten medizinischen Ignoranz.

Teatr.doc bringt den Fall mit einem Dutzend Schauspielerinnen und Schauspielern in Form einer Gerichtsverhandlung auf die Bühne. Der Ermittler, die Richterin, die Ärztin, der Wächter, alle sind sie mit realen Namen da und werden angeklagt. Dabei ist die schauspielerische Leistung bei aller Lakonie so überwältigend, dass man immer wieder glaubt, die wirklichen Täter/innen vor sich zu haben. Auch in Russland dürfte das manchen im Publikum so gegangen sein. Es gab Tränen und Diskussionen, Pressekonferenzen und Ermittlungen.

Zweierlei ist allerdings erstaunlicherweise nicht passiert: Es wurden keine Anzeigen gegen die Schauspieler und die Theaterleitung erstattet und andererseits ist auch keinem der beschuldigten (Mit-)Täter juristisch etwas geschehen. Im Gegenteil, die meisten wurden sogar befördert. Die Hintermänner und Profiteure des eigentlichen Wirtschaftsverbrechens aber sind teilweise verschwunden, teilweise tot, und teilweise gänzlich unbehelligt geblieben.

Ein Stück, das einen fassungslos zurücklässt mit der Frage: “Wie ist so etwas möglich im Europa des 21. Jahrhunderts?”Wie die Schauspieler/innen bei einer Publikumsdiskussion erklärten, waren auch sie entsetzt, als sie im Zuge ihrer Recherchen erfuhren, was wirklich in Russlands Gefängnissen vor sich geht. Vielleicht sollte man eine DVD der Aufführung an die Damen und Herren Regierungschefs in der EU schicken und an heimische Banken und Unternehmer, die gerne lukrative Geschäfte mit Putins Russland machen. Als kleine Protestnote.

www.steirischerherbst.at

© Foto: steirischer herbst / Wolfgang Silveri

Letzte Aufführung: Montag, 1. Oktober um 19.30 
Black Cube / Festivalzentrum, Thalia, Opernring 5, 8010 Graz

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