„Kafka | Heimkehr. Theaterprojekt mit Texten von Franz Kafka“, Schauspielhaus Graz
Dass Franz Kafka ein gröberes Problem mit seinem Vater Hermann hatte, ist quasi amtsbekannt. Der Sohn, der heute als einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren gilt (ohne dass dies sich verifizieren ließe), schrieb seinem Erzeuger im November 1919 einen Brief, den man als finale Abrechnung sehen kann. Das Schriftstück voller Bitterkeit war immerhin ganze 103 Seiten lang. Bekommen hat es der Adressat allerdings nie.
Am Grazer Schauspielhaus geben Tim Breyvogel, Zeljko Marovic und Anna Rausch gleich drei Söhne, die mit ihrem Vater hadern. In einer Schlüsselszene beleuchtet der strenge und oft ungerechte alte Herr (strotzend vor Energie und sarkastisch bis zur seelischen Grausamkeit: Franz Solar) gleich neun seiner Kinder, denen er dies und das und jenes vorhält. Der eine ist schön, aber ein Träumer, der nächste hat es nicht mit dem Denken und der letzte ist allzu schwächlich.
Das alles beginnt im Foyer des Schauspielhauses (daher wohl auch die wechselnden Beginnzeiten der Vorstellungen) und führt durch verschlungene Gänge erst durch ein Frauen-WC, dann ins Stiegenhaus und weiter in den „Schauraum“ im dritten Stock.
Dort hat Franziska Bornkamm eine fantastische Bühne gebaut. Mit einer riesigen Sesselskulptur, mit Schreibtischen samt Schreibmaschinen, einer alten Küche und einem wenig komfortabel wirkenden Bett. Dort schreibt, isst, liegt, tobt und heult der Junior nun und arbeitet sich an seinem Vater ab. Die Kafka-Texte schneiden wie ein Skalpell in die eigene Erinnerung, sie erinnern an die pubertären Schwierigkeiten mit dem mächtigen Altvorderen. Sie lassen keinen Platz für die Hoffnung auf Versöhnung. Das Spiel der drei Söhne ist präzise abgestimmt, ihre Verzweiflung greifbar und glaubwürdig. So sehr sie sich auch auflehnen, der Papa lässt ihnen keinen Spielraum, keine Freiheit, keinen Stolz. So endet die Heimkehr wie sie beginnt: Mit einem Bruch, der sich nicht mehr kitten lässt. Und letztlich auch: Mit viel Applaus aus dem Publikum. Ein schaurig-schöner Theaterabend unter der Regie von Jan Philipp Gloger und Andrea Vilter, der noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Die nächsten Vorstellungen: 12. 10 (20.00), 15. 10. (10.30!), 17. 10. (18.30), 18. 10. (20.00), 23. 10. (18.30), 29. 10. (20.00), 5. 11. (18.30), 6. und 7. 11. (jeweils um 10.30). Weitere Termine und Tickets unter schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Foto: Tim Breyvogel, Željko Marović (c) Lex Karelly
PS: Wer noch mehr Kafka will, findet im heurigen Jahr hier noch das eine oder andere: https://kafka2024.de/