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Ost-Buch des Monats

Steffen Mau: Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt. Berlin: edition suhrkamp 2024

Ach, das waren Zeiten, da gab es für die „neuen Bürger“ (mit dem Gendern hatte man es damals nicht so) aus und in den „neuen Bundesländern“ plötzlich Bananen in Hülle und Fülle. Das Anstehen vor „Kaufhallen“ und das „Was gibt´s heute wo“? waren auch obsolet. Der Trabi wurde durch einen 3er Golf ersetzt. „Sättigungsbeilage“ I und „Sättigungsbeilage“ II gab es nur mehr im nostalgisch-kultigen und mittlerweile leider geschlossenen „Mauerblümchen“ im Berliner Prenzlauer Berg. Und aus den „Winkelementen“ wurden Fähnchen (sofern an ihnen Bedarf bestand, denn das Vorbeidefilieren an der personifizierten Gerontokratie (aka „Politbüro des ZK der SED“) war aus der Zeit gefallen). Immerhin retteten sich Kulturgüter wie das Rotkäppchen oder der Ost-Gegen-„Tatort“ Polizeiruf 110 in die „neuen Zeiten“.

Zwar flossen die (westlichen) Transfermilliarden gen Osten, aus den „blühenden Landschaften“ des Kanzlers der Einheit, Helmut Kohl, wurden sanierte und behübschte Städte, aber auf mehreren Ebenen verödete, von der „Treuhand“ abgewickelte Landschaften. Es wuchs eben nicht – um Willi Brandt zu zitieren – „zusammen, was zusammengehört“, sondern im Gegenteil: In den 1990ern war die verklärend-rückwärtsgewandte „Ostalgie“ unübersehbar und die postkommunistische PDS eine sich im Osten etablierende Volkspartei – also von wegen „Deutschland einig Vaterland“.

Ost und West: Mehr als zwei Himmelsrichtungen

Der unglaublich produktive Berliner Soziologe Steffen Mau, der im Vorjahr gemeinsam mit Thomas Lux und Linus Westheuser die glänzende Monografie „Triggerpunkte“ vorgelegt hat, widmet sich im vorliegenden, im selben Maße hervorragend geschriebenen wie kurzweilig zu lesenden Buch „Ungleich vereint“ dem Osten (bzw. was davon im wahrsten Sinne des Wortes übriggeblieben ist). Auf der Basis von überzeugend dargelegten und ausgebreiteten soziostrukturellen, demografischen und politisch-kulturellen Parametern argumentiert er pointiert, warum „Ost und West (…) mehr als zwei Himmelsrichtungen“ sind.

Überzeugend legt er auf dieser argumentativen Basis dar, dass im Sinne der Modernisierungstheorie von einer Angleichung des deutschen Ostens an den Westen (und nicht zwischen Ost und West) keine Rede sein kann, sondern dass – ganz im Gegenteil – eine „Phantomgrenze (…) das geeinte Land“ durchzieht.

Das Buch ist unstreitig unter den antizipierten Wahlerfolgen der – von Westlern (!) gegründeten – vormaligen „Professorenpartei“ AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im heurigen Herbst geschrieben. Zieht man deren Agitation, Mobilisierung und (nicht nur, aber umso unverfrorener vorgetragene völkische) Rhetorik heran, so – und das ist einer der stärksten argumentativen Momente der Publikation – schließt diese über weite Strecken an die „Vorwendezeit“ an. „Bezeichnenderweise war seitens der zivilgesellschaftlichen Akteure des Reformherbstes immer wieder Kritik am ‚Parteienstaat‘ zu hören, der den souveränen Willen des Volkes zu stark beschränkt. Man war skeptisch, wo es darum ging, die Macht an von Parteien ausgewählte und in allgemeinen Wahlen bestimmte Vertreter zu delegieren. Stattdessen dominierte der Wunsch, Dinge durch breite Bürgerbeteiligung, etwa über Volksentscheide unmittelbar zu gestalten.“

Hier setzt auch Maus „Therapie“ an, indem er – auch auf Grund der notorisch schwach verankerten etablierten (West-)Parteien – für die Einführung von Bürgerräten plädiert, weil „der politische Raum anders gedacht und gestaltet werden muss.“ Ein solcher Vorschlag von SP-Chef – oder SP-„Chef“ (man weiß das ja nicht so genau) – Andreas Babler sorgte vor kurzem für Schnappatmung bei konservativen und rechten Kreisen, als stünde ein Revival der Münchener oder ungarischen Räterepublik nach dem Ende der Erstens Weltkriegs am Programm. Mehrmals weist Mau darauf hin, dass die Räte nicht dem Ersatz, sondern der Ergänzung zu demokratisch-parlamentarischen Entscheidungsverfahren dienen, um „den Graben zwischen Politik und Bürgern zu überwinden und einen neuen Transmissionsriemen für soziale Interessen einzubauen.“

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Tipps zum Ein-, Weiter-, Wieder- und Auslesen

Ahbe, Thomas: Ostaglie. Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Erfurt 2005.

Ders.: Ostalgie. Zu ostdeutschen Erfahrungen und Reaktionen nach dem Umbruch. Erfurt 2016.

Arp, Agnes und Goudin-Steinmann, Elisa: Die DDR nach der DDR. Ostdeutsche Lebenserzählungen. Bonn 2024.

Eik, Jan: DDR-Deutsch. Eine entschwundene Sprache. Berlin3 2022.

Gensike, Thomas: Die neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration. Wiesbaden 1998.

Haffert, Lukas: Stadt, Land, Frust. Eine politische Vermessung. München 2022.

Mau, Steffen/Lux, Thomas/Linus, Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin.

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Rezension: Heinz Wassermann, Juli 2024

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