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Buch des Monats Sachbücher

Politbuch des Monats: Von Mussolini bis Salvini

LORENZ GALLMETZER: “Von Mussolini zu Salvini. Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus”, Kremayr & Scheriau 2019

Tausenden Fans des Nutella-Toastbrots sei gesagt: Sie befinden sich in illustrer Gesellschaft – wenn auch nicht in bester. Denn der Numero-Uno-Influencer aus Italien, Matteo Salvini, hat öffentlich auf Facebook seine Liebe zum einfachen Frühstück eines typischen Italieners bekundet. Inklusive Schoko-Aufstrich.

Der selbsternannte Held des kleinen Mannes, Verteidiger der Ehre Italiens, Beschützer aller Gläubigen vor dem bösen Einfluss der Gutmenschen hat es wahrlich drauf. Obwohl in Italien das Wahlvolk zuletzt in der Emilia Romagna den Rechtsruck wieder ein wenig nach links korrigiert hat: Salvini ist auf den sozialen Medien immerfort präsent und aktiv. Bei der Lektüre des Buches verfestigt sich der Eindruck, dass unser liebliches, südliches Nachbarland im Faschismus 2.0, wie Autor Lorenz Gallmetzer es definiert, bereits angekommen ist.

La bestia heißt die Social Media Maschine im Volksmund, die Salvini mit Hilfe der PR-Profis Morisi und Paganella von einer kläglichen fünfstelligen Follower-Community innerhalb von sechs Jahren auf 3,6 Millionen katapultierte.

Die Verschnaufpause, die der Bruch der Koalition der Lega mit der 5-Sterne-Bewegung brachte, wird von kurzer Dauer sein, schenkt man den fundierten Ausführungen Lorenz Gallmetzers Aufmerksamkeit. Denn der Nationalpopulismus hat in Italien eine lange Tradition: Ihr gegenwärtig aktivster und mächtigster Vertreter Salvini hebt ihn jedoch auf eine neue Ebene. Der Terminus „National-Sozialismus“ erreicht durch den ehemaligen Linken, der sogar mit den Kommunisten sympathisierte, eine neue Dimension.

Innerhalb von sechs Jahren baute Salvini die marode, fast bankrotte Lega von Umberto Bossi um und schuf einen gut geschmierten Apparat, der sich offen den Faschisten und Rechtsradikalen anbiedert. Mittels gezielter Analysen seiner Social Media Kanäle weiß er die Stimmung der Bevölkerung geschickt auszunutzen und konnte so auch große Teile des Südens für sich gewinnen. Er paktiert mit Berlusconi und Marine Le Pen, wettert gegen die EU und Migranten. Gallmetzer schildert eindringlich die Auswirkungen der rassistischen Politik Salvinis, die laufend auf Menschen schwarzer Hautfarbe abzielt und schließlich zum schrecklichen Massaker von Macerata führte. Im Buch werden zahlreiche Opfer namentlich genannt, als wollte der Autor ihnen ein gerechtes Denkmal setzen.

Doch Lorenz Gallmetzers Buch ist viel mehr: nämlich die gründliche Analyse einer ausgehöhlten Demokratie, deren drei Anker – Kapitalismus, politische Vertretung und welfare state – ins Wanken geraten sind. Populistische Bewegungen wie die der Fünf-Sterne, die sobald sie an der Macht sind, am Regieren scheitern, ebnen Salvini den Weg. Dieser setzt auf Nostalgie, schließlich feierte man in einschlägigen Kreisen 2019 den hundertsten Jahrestag der Gründung von Mussolinis Fasci di combattimento. Aber auch sonst ist der Faschismus längst salonfähig: Wie andernorts auch, hilft dabei die Verklärung einer schlecht reflektierten Vergangenheit. In Italien wird diese Mystifizierung tatkräftig unterstützt durch eine schwache Justiz, Bürokratie und Korruption: Zutaten, die die Unzufriedenheit des Volkes seit Jahren stetig anheizen. Das anscheinend nur auf eine neue Führerfigur gewartet hat.

Gallmetzers Analyse schließt mit den Europawahlen im Mai 2019, als Salvini erneut einen starken Stimmenzuwachs verzeichnen konnte. Den Bruch der Koalition und seinen Rauswurf aus der Regierung hat der Autor nicht mehr dokumentiert.

Sein Blick in die Zukunft sieht Salvini als möglichen Premier. Und selbst wenn aktuell die Zeichen gerade etwas trüber sind für den „Capitano“: Die Haubentaucher-Redaktion ist geneigt, sich dem Pessimismus Gallmetzers anzuschließen. Und dennoch zu hoffen, dass auch Salvini sein Ibiza findet. Geeignete Inseln gäbe es in Bella Italia ja genug.

Text und Fotocollage: MB

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