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Musik

Tonträger des Monats Juni / INT

JACOB MILLER: “This New Home”, Independently Released / J. Miller Music Publishing, VÖ 6. 6. 2019
 

Eine richtig schöne amerikanische Geschichte geht genau so. Mit einem Koffer und einer E-Gitarre zieht der junge Mr. Miller von Wisconsin aus, um nach Portland/Oregon zu übersiedeln. Dort, wo hunderte Bands ihr Glück suchen und aus jedem zweiten Keller eine Rock-Gitarre zu hören ist. Jacob Miller aber ist in der traditionellen Musik seiner Heimat zuhause mit leichtem Abstecher zum guten alten Singer-Songwriter-Pop und mit einem gewissen Faible für die edle Technik des Fingerpickings. Zuerst bastelt er sich noch eine sechsköpfige Jazzband, doch bald konzentriert er sich auf seine Solo-Auftritte. Portland verließ er nach einem Jahr wieder, um quer durchs Land zu bereisen, Musik zu studieren, vor Publikum zu spielen, aber auch um als Hilfsarbeiter auf Farmen zu arbeiten.

Große Konzerte vor mehreren tausend Zusehern bestreitet er mit der selben Hingabe wie Mini-Gigs in einem Wohnzimmer. Seine Songs lassen die kältesten Herzen schmelzen. Es geht entsprechend oft um die Liebe, aber auch um andere Belange des täglichen Lebens. Eine Platte zum Gernhaben. Und ein Künstler, den wir uns im Herbst genauer ansehen werden, wenn er in unsere Nähe kommt.  

Foto: David Neff (Photography) 

CALEXICO AND IRON & WINE: “Years to Burn”, City Slang VÖ 14. 6. 2019 

Wir bleiben noch in den USA. Calexico muss man hier wohl niemandem mehr vorstellen, aber vielleicht wissen nicht alle, dass es diese Kooperation mit Sam Beam von Iron & Wine schon einmal gab, nämlich vor 15 Jahren mit einer EP namens “In the Reins”.

Das neue Album setzt natürlich wieder auf gubt abgehangenen Folk und Americana mit Patina, sogar jazzig wird es zwischendurch mal, diesmal aber versteht man sich wirklich als EINE Band, wobei Beam einen Großteil der Songs geschrieben hat. Eine tragende Rolle spielt auch Paul Niehaus mit seiner Pedal Steel Guitar.

Das Ergebnis ist 1a mit so vielen Sternchen, wie sie die US-Flagge zieren. Auch Fans von Neil Young könnten mit “Years to Burn” ihre Freude haben. Apropos Glück: Die All-Star-Band kommt gleich zweimal in unsere Nachbarschaft. Im Sommer ins Wiener Konzerthaus (28. 7.) und im Herbst nach Linz (10. 11.). Wir in Graz hoffen, dass sich da bis dahin auch noch was ergibt.

KARMIC: “This Is Karmic”, EP Bad Owl Records VÖ 31. 5. 2019

Das US-Austro-Duo mit den lässig abgeklärten Stimmen und dem speziellen Pop-Feeling machen in erster Linie gute Laune und sorgen für restless legs. Und das ist ja nicht das Schlechteste in Zeiten wie diesen. Und so sind Laura Baruch und Kyle Tkatch mit ihrem unbeschwerten Sound national wie international ganz schön am aufsteigenden Ast.

Wer am Wiener Donauinselfest (22. 6.!), am Marienplatz in Stuttgart, am Millerntor in Hamburg und beim Augartenfest in Graz (29. 6.!) spielt, kann sich über die Buchungslage nicht beschweren. Die eigentliche Heimat des Duos sind aber die Clubs und kleineren Locations – und auch in denen werden sie demnächst ihre EP präsentieren (15. 6. Academy Salzburg und 28. 6. Kino Ebensee).

Eine ausgesprochen nette Scheibe und ein dynamisches Duo, das man unbedingt live gesehen haben sollte. Zwecks Sommerfeeling wärs!

HOT CHIP: “A Bath Full of Ecstasy”, Domino Records VÖ 21. 6. 2019

Das siebente Album ist das nun schon. Und es passt hervorragend auf die EP von Karmic. Pop, Pop, Pop. Bunt, elektronisch, selbstbewusst, aber auch irgendwie ziemlich aus der Spur. Kein wirkliches Wunder, wenn man die Hintergründe bedenkt.

Produziert hat das ganze Philippe Zdar, der Franzose, den man von seinen Arbeiten für Cassius und Phoenix kennen könnte. So wurde denn auch großteils in Paris aufgenommen, in drei Sessions und vielleicht offenbart der Sound deswegen auch mehrere Schichten, die wie übereinander geschachtelt scheinen und die Songs daher vielschichtig und komplex machen, ohne je artsy-fartsy zu sein.

In London kümmerte sich dann Rodaidh McDonald, der schon mit Bowie arbeitete, um den “Rest” und um eine gewisse Leichtigkeit und den Abbau von Opulenz, beides tut den Songs gut, ändert aber nichts daran, dass hier in aller Ausführlichkeit musiziert wird. Die Nummern dauern zwischen 4 und 6 Minuten, das Video zu “Hungry Child” nimmt sogar satte 8 Minuten in Beschlag und entwirft ein hübsches Beziehungsdrama. “Melody of Love” kam sogar mit 12 Minuten aus Paris nach London und wurde auf ein Drittel kondensiert.

Selbst für Hot-Chip-Stammkunden dürfte dieses Album überraschend sein, auf die positive wohlgemerkt. Aber nur, wenn man wirklich Pop mag, der dort weitermacht, wo die Pet Shop Boys und Konsorten die Löffel abgegeben haben.
 
 


NATASCHA P.: “Adler”, Problembär Records VÖ 7. 6. 2019

Natascha P. kommt aus Hamburg und ist eine Hälfte von One Mother, die zuletzt auf dem Ebow Album K4L positiv aufgefallen sind. “Adler” ist Nataschas Debut, originell, kraftvoll, verspielt. Mit Ebow hat Natascha dann auch einiges gemein. Die Liebe zum Rap natürlich, die Offenheit, auch das jugendliche Alter. Das Album kommt mit blechernem Synthie, klarer Ansage, deutschen Texten, die man durchaus reflektieren nennen darf. Eigenartig ist die sehr zurückhaltende Kommunikation, sowohl über das Duo als auch über die Solo-Künstlerin. Kaum Content auf FB, ein auf privat gestellter Insta-Account, Website haben wir auch keine gefunden. Entweder steht hier noch alles auf Anfang oder man will sich bewusst ein wenig zurückhalten. Sei es wie es sei, mit 3 Metern Spannweite fällt man dann doch aus dem Rahmen…

PIPES AND PINTS: “The Second Chapter”, VÖ 31. 5. 2019

Dudelsack-Rock, okay kann man hören, muss man aber wahrscheinlich nicht zwingend. Wäre da nicht die Tatsache, dass diese glücklicherweise ohnehin dezent eingesetzten Pfeifen nicht aus Dublin kommen, sondern aus Prag. Wenn man mal von Sänger Travis O’Neill absieht, aber der kommt auch nicht aus der irischen Hauptstadt, sondern aus County Sligo. Gut, also eine tschechische Dudelsack-Combo? Auch nicht wirklich. Das ist schnurgerader Rock. Metall-Shirts und Bier inklusive.

Neben fröhlich dahinbretterndem Rooooock!!! haben die Pipes auch ein wenig Country im Gepäck, alles schön melodisch und eingängig. Das Schlagzeug macht PAFF!, die Stimme macht OHOOOOOOO! Und auch wenn wir ja eigentlich intellektuelle Schöngeister und elitäre Feinspitze sind, das da macht richtig Spaß. Das sehen andere auch so und daher touren die Tschechen demnächst durch die Festivallandschaft, mit einem Höhepunkt auf dem feinen Sziget in Ungarn.

Wäre die Ausrichtung der Band nicht schon seltsam genug, hat die PR-Agentur noch ein Schmankerl zu bieten: “Fun Fact: Zwei der Mitglieder sind bekannte tschechische Influencer. Der Gitarrist ist Teil einer TV-Show über Lifestyle und Musik. Der Schlagzeuger ist einer der führenden tschechischen Vegan-Aktivisten mit einer steigenden EU-Fan-Base.” Das bitte zu bedenken, wenn ihr euch vielsagende Songs wie “Karma Killer” oder “Rebel in my Veins” reinzieht. Tipp für alle Rock-Fans. Und vielleicht ein Kandidat für einen skurrilen Song Contest Auftritt 2020.

MORITZ ECKER: “No Way Out of the Universe”, Waterfall Records VÖ 14. 6. 2019

Es ist ungerecht, dass der großartige Moritz Ecker erst am Ende des Beitrags dran kommt. Aber das ist hier ja keine Hitparade. Der Berliner mit der leicht angerauten Stimme hat eine feine Platte abgeliefert, mit einer einigermaßen wilden Hintergrundgeschichte. Von seinem Wohnort brach er auf und radelte gut 20.000 Kilometer durch die Gegend. Aber nicht Brandenburg oder Bayern lag auf der Route, sondern Georgien und Iran, Kasachstan und China, Thailand und Singapur, bis nach Australien. Nein, das ist kein Witz. Und so hat er starke Geschichten zu erzählen von Straßenräubern, Obstpflückern, Kühen und Mopedfahrern. Das liest sich in den beigelegten Infos zum Song “Mr Border Policeman” beispielsweise so:

“Auf meiner Tour musste ich je nachdem wie man zählt 22 bis 26 Grenzkontrollen passieren, bei denen die Grenzpolizisten mich und mein Gepäck zum Teil massiv auseinander genommen haben. An der Usbekischen Grenze musste ich zum Beispiel meine kompletten Taschen leeren, den Inhalt meines Buches zusammenfassen um sicherzustellen dass ich ich keine religiösen Schriften importiere und einen Song auf meiner Gitarre spielen um zu beweisen, dass es sich tatsächlich um ein Instrument und nicht um eine Waffe handelt. Die Chinesen wollten sich sogar alle meine Fotos anschauen und mein Handy durchsuchen, mit meiner dreckigen Wäsche hatte aber niemand außer mir ein Problem.”

Es sind die abenteuerlichen Begegnungen, die vielen mehr oder weniger spontanen Auftritte mit der Gitarre, von denen diese Platte erzählt, die Ecker dann in Wellington in Neuseeland aufgenommen hat. Eine Platte für Radfahrer, Entdecker und Liebhaber feinsten Singer-Songwritertums. Ganz ehrlich: unter all dem aufregenden und aufgeregten Material, das uns in den vergangenen Wochen erreicht hat, ist das unsere Lieblingsscheibe. Und wir sind uns sicher, dass sie auch dem ganz oben genannten Jacob Miller gefallen würde.

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