Angelika Hager: „Kerls! Eine Safari durch die männliche Psyche“, Kremayr & Scheriau 2018
Bevor wir uns mit den zwischenmenschlichen Beziehungen von Frauen und Männern auseinandersetzen, gegebenenfalls in Diskussion und vielleicht sogar Streit geraten – lassen Sie uns vorab ganz nüchtern ein paar Zahlen und Fakten aus dem Buch „Kerls!“ betrachten:
· 75 Prozent aller Obdachlosen in Deutschland sind Männer.
· Zwei Drittel aller deutschen Förder- und Sonderschüler sind männlich.
· Nur 42 Prozent der männlichen Teenager machen Schulabschlüsse.
· 93 Prozent aller US-Häftlinge sind Männer.
· 79 Prozent aller Mordopfer weltweit sind männlich.
· 66 Prozent aller Suizide auf diesem Planeten werden von Männern verübt.
· 96 Prozent aller Self-made-Milliardäre sind männlich, ebenso 95,2 Prozent aller CEOs weltweit.
· Unter den 100 reichsten Menschen der Welt befinden sich zehn Frauen.
· 60 Prozent der Studierenden an österreichischen Universitäten sind Frauen, jedoch nur 23 Prozent der Professoren weiblich.
· Auf eine alkoholkranke Frau kommen im internationalen Vergleich drei Männer.
„Wann ist ein Mann ein Mann?“,fragte sich Herbert Grönemeyer 1984 in seinem Lied „Männer“, das ihn kommerziell erfolgreich und als Künstler bekannt machte. 35 Jahre später beschäftigt sich die Journalistin und Autorin Angelika Hager im Buch „Kerls! Eine Safari durch die männliche Psyche“ mit dieser Thematik und leuchtet dabei einige dunkle Ecken der Männerpsyche literarisch aus. Die profil-Redakteurin und Mutter einer Tochter ist Ihnen vielleicht auch unter dem Pseudonym Polly Adler bekannt, die für Kurier-Kolumnen sowie ORF-Drehbücher verantwortlich ist. Nach ihrem Debüt „Schneewittchenfieber“ (2014) legt sie nun ihr aktuelles Werk vor, einen sogenannten Reiseführer durch die neuesten Erkenntnisse bezüglich der Männerwelt.
Besuchen Sie gemeinsam mit dem tätowierten Holzfäller-Vollbartträger die anderen „Unterschichtwappler“ mit ihren komischen hochgeschorenen Frisuren, erfahren Sie durch metrosexuelle „Man-Bun (= Männer-Dutt)-Frauenverstehertypen“ alles über das Liebes-ADS (Attention Deficiency Syndrome) oder warum die „Alpha-Kevins“ (= geistig beschränkte Machos) in Zukunft alle Fickbrillen tragen werden.
Das knapp 190-seitige Werk bildet eine amüsante, kokette und zugleich nachdenkliche Lektüre, die die Psyche des Mannes behandelt. Das Buch betreibt aktuelle Ursachenforschung über die Beziehung(-sprobleme) von Frau und Mann und weckt Interesse durch viele erhellende Interviews mit WissenschaftlerInnen, PsychotherapeutInnen und SoziologInnen. „Kerls!“ überzeugt durch stilsicheren Sprachwitz, scharfe Beobachtungsgabe und einige erstaunliche Zitate. Die LeserInnen erfahren, wie sich Hager mit Liebe, Schmerz und all dem dazwischen auseinandersetzt, und beschreiten mit ihr den schmalen Grat zwischen #metoo, Viagrakultur und Tindermatches. Es ist ein Trip durch die zwischenmenschlichen Gefühle, der direkt in den Bauch geht wie ein Schlag in die Magengrube, dabei aber stets die nötigen Denkanstöße gibt. Von Woody Allen, Peter „Jetzt!“ Pilz, Harvey Weinstein, bis hin zu Senta Berger, Catherine Millet und vielen anderen begleitet die Autorin Frauen und Männer irgendwo zwischen Angst, Macht, Wut und Verlust – letztendlich ist das Buch eine Abhandlung über Vertrauen(-sbruch).
Wer sich schon immer die folgenden Fragen gestellt hat, findet in „Kerls! Eine Safari durch die männliche Psyche“ mögliche Antworten: „Kennen Sie drei sexuelle Revolutionen der letzten 25 Jahre?“, „Gibt es in unserer Gesellschaft eigentlich eine ‚ars erotica’ – eine Liebes- und Sexkultur?“, oder „Haben sie schon von den DINS (dual income, no sex) gehört?“ Frei nach dem Motto „Sex sells“ werden hier auch intimere Fragen der Liebe beantwortet: Lesen Sie über „Powersex mit Günther“, lernen Sie die „Tyrannei der Lust“ kennen und staunen Sie über das „Geheimnis einer 90-jährigen Ehe“.
Die Autorin setzt ihre journalistischen Erfahrungen und ihre Kontakte zu ExpertInnen gekonnt ein und erzeugt dadurch ein stimmiges Gesamtbild. Was dem Buch selbst jedoch trotz versiertem Zahlenmaterial und Zitaten diverser Berühmtheiten fehlt, ist ein gewisses Maß an Überraschung. Speziell das letzte Drittel des Buches wirkt manchmal langatmig und im Gegensatz zum restlichen Inhalt oft sogar zu artig.
Angelika Hager hat nichtsdestotrotz ein aktuelles Buch über das augenscheinlich lädierte Image von Männern geschrieben. Frei nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ setzt sie dieses Stilmittel richtig dosiert ein. So ist Humor in diesem Werk ein wichtiges Schlüsselwort, um den Zugang zu diesem Thema zu erleichtern, die LeserInnen (Frauen wie Männer) an das Thema zu binden und den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Apropos Spannung: Die ist garantiert, wenn schließlich eine #metoo-Debatte mit der aktuellen Diskussion über Flüchtlinge verglichen wird. Und obwohl Männer Frauen unbestritten über Jahrtausende als Menschen zweiter Klasse behandelt und unterdrückt haben, gilt der friedliche Appell: „Vorurteile gegenüber dem Anderen und dem Fremden abzubauen, das Miteinander zu fördern und ein Recht auf Partnerschaft in Augenhöhe. Es ist Zeit, Machoklischees aus dem Weg zu räumen und von unseren Fehlern zu lernen.“
Text und Foto: aL, haubentaucher.at 2019
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