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Musik

Tonträger des Monats Mai / Ö

Ratrock Tot Sint Jans: “Bad Times”, Kassette 2018 pumpkin records

Seit sechs Jahren werden wir nicht müde, zu betonen, wie super der Mann aus Graz ist, den sie Ratrock Tot Sint Jans nennen. Nachzulesen hier. Und weil der Mann mit der Attitüde eines US-Einsiedlers seine sehr eigenen Wege geht, liegt die neue Scheibe nicht als solche, sondern als Tape in braunem Plastik mit Download-Code vor. An der Qualität ändert das natürlich nichts.

Ratrock 2018, verstärkt mit seinen Freunden von der Tiger Family, das klingt nach Kammermusik, staubigem Rock, erstaunlich viel Piano, einem Hauch Tex-Mex. Ein Song trägt die Sonate im Titel, ein anderer heißt “Rhapsody in Mud” und dann gibt es auch einen “Waltz”. Sie lesen schon: Die Musik ist vielschichtiger geworden, man hört auch mehr Sicherheit und noch mehr coole Gelassenheit, ohne dass jemals Routine aufkommt. Alle Jahre wieder ein Meisterwerk, das uns der Mann mit dem – leider nur mehr auf dem Coverfoto vorhandenen – Rauschebart da schenkt.

Apropos: Bestellen kann man die Kassette, die mit 50 Stück ganz schön streng limitiert ist, um 10 Euro plus Versand beim Musikus selbst oder bei der Plattenfirma – es zahlt sich aus!

PRESSYES: “On the run”, Ink Music VÖ 11. 5. 2018

René Mühlberger kennen Eingeweihte von “Velojet” und das war eine Zeitlang genau das Problem. Nach dem Ende der Band musste der viel gereiste und viel gefragte Musiker erst wieder zu sich selbst finden. Sein Weg dabei: Durchaus ungewöhnlich. Viele alte Instrumente (angeblich alle vor 1978 entstanden) begleiten ihn auf einem enorm spannenden Ausflug in eine Welt, die mit Pop-Vokabular nur sehr eingeschränkt beschrieben werden kann.

Der zweite Track “On the run” ist eine Hammernummer, die es definitiv in die Indie-Charts dieses Sommers schaffen MUSS. Davor, dazwischen und danach haut PRESSYES einen optimistischen, manchmal spielerisch-psychedelischen Pop raus, der auch früheren Großmeistern wie z. B. den Pet Shop Boys tiefsten Respekt abnötigen sollte.

Alles hätten wir erwartet, aber dass eine so unaufgeregte, luftig-leichte und vor allem so “internationale” Platte dieses Jahr aus Österreich kommt (und nicht von 5K HD ist), gehört zu den großen und schönen Überraschungen. Am 23.5. gibt’s die Wien Live Premiere im B72. Unsere Prognose: es wird schön und hoffentlich auch schön voll werden. Klare Empfehlung: Kaufen! Und: Anschauen. Zum Beispiel auch Ende Juli beim feinen Festival woodstockenboi am Weißensee.

Jugo Ürdens: “Yugo” EP, Futuresfuture

Der Rapper mit mazedonisch-serbischen Wurzeln rollt Wien quasi vom Migrationshintergrund her auf und begeistert nicht nur auf heimischen Festivals, sondern auch (zumindest) im gesamten deutschsprachigen Raum. Er thematisiert auf seine ganz eigene Art das Dasein als “Ausländer”, das Leben in Wien, die Liebe zum “schwarzen Gold” und bastelt als Produzent ganz nebenbei mit dem hier auch schon abgefeierten EINFACHSO am nächsten Hype. Das Besondere an Jugo Ürdens ist die Verbindung von Slang, Humor und intelligentem Protest. Ohne blöde Attitüden, ohne es irgendwem zeigen zu müssen. Ganz besonders schön ist die Liebeserklärung an den fahrbaren Yugo (gleich hier unten im Video). Die EP ist ebenso Pflicht wie das lang ersehnte Album, das im heurigen Herbst endlich erscheinen wird. Wir freuen uns wie verrückt, Jugo!

Gewürztraminer: “Sau Nice”. Cracked an egg Records, CD/LP VÖ 18. 5. 2018

Es ist exakt ein Jahr her, dass wir die verrückte Partie aus Wien hier vorgestellt haben. Diesmal haben sich die Herren mit einem Bläserquartett namens “Gmischta Satz” verstärkt. Das Ergebnis in Form von 5 neuen Songs liegt irgendwo zwischen World Music, Indie und Big Band. Gipsy-Elemente sind genau zu finden wie Balkan-Jazz und griechisch-russischer Beisl- und Tavernen-Sound.

Die trotz allem in deutsch gehaltenen Texte haben den Wiener Schmäh tief inhaliert, da hagelt es “Hausdetschn” und die “Globalisierung” wird auf sehr eigene Weise besungen. Produziert wurde “Sau Nice” von Hanibal Scheutz, seinem Papa hätte die Platte sicher auch gefallen.

Wird auf FM4 wahrscheinlich kaum laufen, auf Ö1 aber schon. Apropos am 18. 5. wird die Platte im ORF-Funkhaus in Wien präsentiert, am 30. 5. spielen die Gewürztraminer im RÖDA in Steyr. Weitere Termine gibt es auf der Website.

Death by Delirium: “Pushing up the Daisies”, William show me the Major Label, Kassette

Und gleich noch ein neues Tape. “Death by Delirium” haben freilich weder mit dem Ratrock noch mit den Gewürzingers sehr viel gemein. “Pushing up the daisies” heißt angeblich so viel wie “sich die Radieschen von unten ansehen”. Also leicht morbid? Aber hallo! Und vor allem sehr indie.

Da fiept und röhrt, rauscht, klopft und scheppert es dahin, dass die 1980er nicht nur aufgrund der Wahl des Trägermediums ihre helle (oder eher düstere) Freude haben. Underground, gibt es das eigentlich noch in Zeiten wie diesen? In der Welt von Death by Delirium ganz sicher. Der süße Tod wird besonders gern angeschmachtet, ach dabei sind die drei doch noch so jung und unverbraucht… Möchte man meinen, in Wahrheit spielen sie bereits seit 2012 zusammen und haben jetzt endlich ihr erstes Album herausgebracht. Richtigen Auskennern werden vielleicht auch die Vorgängerbands etwas sagen, namentlich Squishy Squid und Strange Dolls Cult. Was sagt man nun zu so einem Album? Interessante Ansätze, ein paar richtig schöne Retro-Sounds aus der Blech- und Atari-Dose. Aber in Summe irgendwie schon sehr: speziell.

Die Strottern: “waunsd woadsd”, Cracked an egg Records

Mit den Strottern kehren wir wieder zurück zum routinierten Wiener Musikschaffen und dem selben Label wie schon oben bei den Gewürztraminern. Die Strottern, die sehr eng mit Textern und Liedermachern wie Christian Tesak und Ernst Molden verbunden sind, präsentieren auf diesem, ihrem neunten Album, 13 Songs, die zwar reichhaltig instrumentiert sind, dennoch aber Gitarre, Geige und Vocals ins Zentrum stellen.

Die Platte beginnt sehr passend mit dem “Lied aus Fragen”. Wie viele Franzosen in Wien können kein Französisch? Wie viel kriegt ein Stiefkind zu essen? Wie viele Sachen im Leben vergisst man gerne? Und schon ist man tief in der Gedankenwelt der Strottern gefangen.

Das Wienerlied, der Grant und die Hinterfotzigkeit, der Grind und die Grandezza der Stadt werden in einer wunderbaren Mischkulanz besungen. Dunkelgrau, wie es schon Ludwig Hirsch perfektionierte, düster und melancholisch wie man es auch von Danzer oder Molden kennt. Auf eine sehr großartige Weise reduziert auf das Wesentliche. Das sollten alle hören, außer wenn sie gerade die Depression beutelt. Dann bitte ein bisschen später. Die Strottern haben es da nicht eilig. Selbst wenn gerade die Aeronauten landen. Wurscht is. Eine wunderschöne Platte. Konzerttermine auf der Website der Strottern.

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