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Buch des Monats

Sachbuch des Monats Dezember: Das Internet muss weg

Schlecky Silberstein: “Das Internet muss weg. Eine Abrechnung”. Penguin: München 2019. 271 Seiten.

Dass der deutsche Blogger Schlecky Silberstein (ja, er nennt sich wirklich so) alias Christian Brandes ein lesenswertes Buch zu den Fallen geschrieben hat, die das heutige Internet für uns bereithält, haben wir im Wesentlichen seiner Mutter zu verdanken. Ursprünglich hat der Netz-Auskenner seiner Mama einen Facebook-Account nur deshalb eingerichtet, damit die alleinstehende Frühpensionistin nicht daheim verkommt. Der Plan schien auch aufzugehen: Die Mutter blühte durch Facebook auf, traf sich wieder mit Menschen und beteiligte sich am sozialen Leben auch außerhalb des Netzes. Nur musste der Herr Sohnemann feststellen, dass aus der linken Sozialpädagogin, die ihn erzogen hatte, nach zwei Jahren Facebook eine rechte Aktivistin geworden war, die für die Pegida auf die Straße ging. Wie konnte das geschehen?

Schlecky Silberstein knüpft als Antwort eine Kausalkette aus bekannten Argumenten: von der brutalen Gewinnorientierung, die die Internetkonzerne antreibt, über den Echokammer-Effekt der Filterblasen bis hin zu den psychologischen Ursachen unserer Netzaffinität (um nicht „Sucht“ zu sagen). Darüber konnte man in den letzten Monaten in verschiedenen Medienberichten, Kommentaren und Interviews immer wieder lesen. Wodurch sich Silbersteins Buch „Das Internet muss weg“ vor diesem Hintergrund auszeichnet, ist die unaufgeregte Klarheit und auch das klare Deutsch, mit der er den Niedergang der Kommunikationskultur und die „Rückkehr der Arschlöcher“ (nämlich der rechten) dank Facebook, WhatsApp & Co. analysiert.

Indem Silberstein aufzeigt, wie leicht uns die sozialen Medien in ihren Klammergriff nehmen können, um noch das letzte Quäntchen Daten aus uns rauszupressen, plädiert er für einen aufgeklärten Umgang mit den Imperien Google, Facebook und Amazon. Silberstein mahnt: „Sie können heute noch gar nicht wissen, aus welchen Daten Ihnen in 20 Jahren ein personalisierter Strick gedreht werden kann. Aber bereits heute verschenken wir die Informationen, die uns 2040 vielleicht in den Knast bringen, auf eine Gefährderliste setzen, unsere Reisefreiheit einschränken, uns in ein Quarantäne-Programm zwingen, uns aus einer Versicherung fliegen oder uns ganz einfach Opfer einer Erpressung werden lassen.“

Dabei ist der Raubbau an Nutzerdaten nach Ansicht Silbersteins noch das kleinere Übel. Schlimmer sind für ihn die gesellschaftlichen und politischen „Kollateralschäden“ des Internets, wie der regelmäßige Ausbruch von Shitstorms oder die Präsidentschaft von Donald Trump, die der Autor zu einem nicht geringen Ausmaß als das Werk von Trolls aus dem Darknet sieht. Hier würde eigentlich nur helfen, dass wer den Stecker zieht.

Schlecky Silberstein schreibt locker und unverkrampft aus der Sicht eines ehemaligen (Online-)Junkies, der um das Suchtpotenzial der Droge Internet weiß. Wer Argumente braucht, um Facebook, Instagram und wem auch immer den Rücken zu kehren, findet sie in großer Zahl und guter Qualität in diesem gut lesbaren Pamphlet mit dem plakativen Titel. Apropos: Mit „Internet“ meint Schlecky Silberstein das Web 2.0, das mit der Einführung des Like-Buttons auf Facebook anno 2009 die soziale und politische Ordnung der westlichen Welt neu verfugt hat. Dieses Internet muss weg, meint Silberstein. Der Haubentaucher kann natürlich bleiben. Der ist ja auch schon länger da.

Werner Schandor

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