Moshe Zuckermann: „Der allgegenwärtige Antisemit. Oder: Die Angst der Deutschen vor ihrer Vergangenheit. Mit einem Beitrag von Susann Witt-Stahl.“ Westend Verlag 2018
Moshe Zuckermann wurde 1947 als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender geboren und wuchs in Tel Aviv auf. 1960 emigrierten seine Eltern nach Frankfurt am Main, wo er später Soziologie, Geschichte und Philosophie studierte. Er gilt als Kritiker und gewandter Analyst der gesellschaftlichen und politischen Situation in Israel sowie der historischen Verknüpfung mit Deutschland.
Diesem Ruf wird er im vorliegenden Buch absolut gerecht: Pointiert und fundiert stellt Zuckermann die unscharfen Definitionen und Formen von Antisemitismus vor und erklärt die Ziele, Vorstellungen und Unmöglichkeiten des Zionismus, um die gegenwärtige Situation in Israel besser begreifbar zu machen. Er kritisiert differenziert Machtverhältnisse und gesellschaftliche Missstände. Er geht sogar so weit, Israel in der Ausprägung dieses Staates als Verrat am Judentum zu bezeichnen.
Den Nahostkonflikt beschreibt er als Plattform für „das gesteigerte Toben von Meinungen“ und deckt das Problem der ideologischen Vereinnahmung der Holocaust-Rezeption auf. Kenntnisreich schildert er die unvereinbaren Narrative innerhalb Israels und das damit verbundene gegenseitige Unverständnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Um zu verstehen, wie der gegenwärtige Staat Israel funktioniert, beleuchtet Zuckermann die Widersprüche seit der Staatsgründung 1948, die sich bis heute auf das israelische Kollektivleben auswirken. Der historische Abriss entlarvt damit im Zusammenhang stehende aktuelle Propaganda, Paradoxien und Paranoia.
Das Buch ist eine Collage aus älteren Texten sowie einem Beitrag von Susann Witt-Stahl, einer deutschen Journalistin mit dem Schwerpunkt auf Ideologiekritik. Der Text wirkt trotzdem wie aus einem Guss und der Essay aus dem Jahre 2005 hat nichts an Aktualität eingebüßt. Zuckermann legt damit eine messerscharfe Analyse, auch von Denkfehlern linker Intellektueller, die Israel als Projektionsfläche missbrauchen, vor und macht ungeschönt seinen Standpunkt in der Territorialfrage Israels klar. Das Buch stellt damit einen wertvollen Beitrag zur Anregung einer Reflexion über die eigene persönliche Position in diesem vielschichtigen Thema dar. Prädikat: Äußerst lesenswert.
Rezension: Britta Wedam