Kategorien
Buch des Monats

Liebesbuch des Monats November

“Lieben! Über das schönste Gefühl der Welt – für Anfänger, Fortgeschrittene und Meister.” von Rotraud A. Perner, erschienen bei Orac / Kremayr & Scheriau, Oktober 2018.
Die 74jährige österreichische Autorin Rotraud A. Perner hat mehr als 50 Publikationen über Mut (2016), weiblichen Stress (2015) sowie Sexualität und damit verbundene Tabuthemen (zurück bis in die frühen 1990er) veröffentlicht. Mit „Lieben!“ legt sie eine Zusammenschau von Erkenntnissen aus der Medizin und Psychologie, Fallbeispielen aus ihrer mehr als 40jährigen Praxis als Psychotherapeutin sowie Zitaten zum Thema vor. Der Imperativ im Titel und das mit Herzchen überfüllte Cover verdient das Prädikat „Kitsch“, das der Klappentext zu entkräften trachtet: „Ein Buch  zum Nachdenken, Nachschlagen und Nachspüren für alle, die bereit sind, ihr eigenes Liebespotenzial wachsen zu lassen.“
Perner deckt auf, welche frühkindlichen Prägungen zu welchem Beziehungsverhalten führen können sowie welche Ängste und Sehnsüchte in jedem von uns im Hinblick auf „das schönste Gefühl der Welt“ stecken. Die Autorin arbeitet gängige Beziehungsmuster und damit verbundene Stolperfallen heraus. Sie zeigt auf, dass in der Überwindung kränkender Erfahrungen die Chance für die Entwicklung einer aufrichtig liebenden Persönlichkeit liegt und rät dazu, Gefühle als Energie zu denken. Sie skizziert den Wandel von der ökonomisch nötigen Eheschließung zu den mittlerweile vielfältigen alternativen Formen dank Verhütungsmethoden und Emanzipation. 
Zugleich kritisiert sie die Beschleunigung der heutigen Gesellschaft, die der Entfaltung von Gefühlen kontraproduktiv entgegenstehe. Die permanent von Medien wie Hollywood-Filmen geschürten Glückserwartungen führen laut Perner zu einer Überforderung im Liebesverhalten. Die Quintessenz des Buches ist, dass wir selbst die Energie der Liebe herstellen, indem wir uns bewusst dafür entscheiden. Diese Energie könne nicht verschwinden, sondern lediglich im Laufe der Zeit ihr Wesen verändern. Perner propagiert den Weg zur Selbstliebe, der allerdings schon aus wesentlich älteren Büchern wie „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ von  Eva-Maria Zurhorst bekannt ist.

Und genau hier liegt das Problem des Buches: Perner kombiniert schon Bekanntes mit Erfahrungen aus ihrer Praxis als Psychotherapeutin, garniert dies mit Zitaten, Songtexten sowie Textauslegungen aus der Bibel – das Buch will viel, doch es zeigt nicht wirklich Neues: Dass viele Menschen in einer Liebesbeziehung das suchen, was ihnen als Kind verwehrt wurde, ist ebenso keine bahnbrechende Erkenntnis wie Platons Kugelmenschen, die Ausbildung von Spiegelneuronen oder Zitate aus dem „Kleinen Prinzen“. Pauschalurteile (man bekommt viele Kinder, weil diese das einzige Einkommen bedeuten), krasse Fallbeispiele (Vater missbraucht 8jährige nach der Scheidung von ihrer Mutter sexuell), Generalisierungen wie „ein Adam / eine Eva“  sowie gelegentlich irritierende Gedankensprünge und äußerst persönliche Betrachtungen lenken leider von den Stärken des Buches ab. Die Verweise im Text selbst stören den Lesefluss und bei der Lektüre der Anmerkungen im Anhang stellt sich die Frage, weshalb diese nicht als Fußnote gesetzt wurden. Auch in den Anmerkungen setzt sich das Mosaikartige der Kapitel fort – weniger wäre für den Tiefgang des Textes mehr gewesen. Spannend hingegen sind die etymologischen Betrachtungen und biblischen Bezüge bzw. Neuübersetzungen, die einen wirklichen Erkenntnisgewinn bedeuten. Hier einen Fokus zu setzen, hätte „Lieben!“ bereichert.  

Liebe braucht Raum, Zeit und vor allem Entschleunigung. Perners Buch ist ein Plädoyer für die Bewusstwerdung eigener Prozesse, für Begegnungen ohne Masken und für Vertrauen in die eigene Emotionalität. In diesem klaren Bekenntnis zur Liebe als aktiver Tätigkeit liegt die Stärke des Bands und lässt über das Springende, gelegentlich Stolpernde und Überbordende hinwegsehen. Eine leicht und schnell zu lesende Empfehlung für Fans von Erich Fromms „Haben oder Sein“ und „Die Kunst des Liebens“.
Rezension von Britta Wedam, www.haubentaucher.at  


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert