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Musik

Tonträger des Monats November

Sex Jams: Catch 
LP, CD, digital: This Charming Man, 2015

Mit der Titelnummer starten die Sex Jams gleich mit Vollgas in die Blütezeit des Noise-Rock. Was wir hier haben? Allerfeinsten Krach, teilweise in atemberaubender Geschwindigkeit dargeboten, der eure Eltern respektive Nachbarn garantiert um den Verstand bringen wird. Irgendwo zwischen Dinosaur Jr. und Jingo de Lunch pendeln sich die vier Herren samt Sängerin Katie Trenk auf ihrem dritten Longplayer ein. Die Texte der wilderen Songs bestehen zum großen Teil aus abgedrehten undefinierbaren Schreien und dem einen oder anderen klar identifizierbaren “Aaaaaagh!” Vielleicht auch der ideale Soundtrack für den Kreißsaal?

Die Sex Jams können es dann aber auch eine Spur ruhiger und melodiöser, etwa im kultverdächtigen Song “10 Schilling”oder im FM4-tauglichen “Goldie Root”. Fast schon Indie-Pop. Interessanterweise hatte nicht nur Mastermind Wolfgang Möstl (bekannt von MILE ME DEAF) seine Produzentenfinger im Spiel, sondern auch Patrick Pulsinger. Wenn auch die Platte an sich schon herrlich rockt, live muss das ganze noch eine Kategorie drüber liegen. Daher notiert euch die folgenden Termine, liebe Leser und -innen: 4. 12. in St. Pölten, 11. 12. Wiener Neustadt, 19. 12. Forum Stadtpark Graz und 8. 1. 2016 in der Wiener Arena. Prädikat: Gewaltig gut.

Evoilà: FIB 
Vinyl + CD / CD only, pumpkin records 2015

Mindestens 180 Grad Unterschied zu den Sex Jams, aber nicht eine Spur weniger hörens- und empfehlenswert. Tobias Dankl samt Jana Sophia Finder, Christine Hoffelner und Lukas Wielandner sind Evoilà – und das bereits seit 2011. Die Platte hat ungeheure sphärische Wirkung, die Streicher sorgen für einen cinematographischen Sound, mal glasklar, dann wieder verzerrt. Das Grazer Quartett, von dem wir – zu unserer Schande müssen wir das gestehen – zuvor noch nie gehört haben, zeigt mit jeder einzelnen Nummer dieses Albums, das es internationales Format besitzt. Herausragend die Songs “Contrast Thing” und “Awake” mit einem spannenden Gesangspart. Vielleicht die derzeit interessanteste Grazer Band abseits der üblichen Verdächtigen. Live am 18. 11. in der Postgarage in Graz und am 20. 11. im Schlosskeller Ligist. Konzerte in Wien und anderswo sind zur Zeit in Planung. Ach ja: zumindest eine Gemeinsamkeit zu den Sex Jams gibt es doch. Beide Platten wurden in der Metropole an der Mur gemischt. Ist Graz auf dem Weg zur Indiepop-Hauptstadt?

Klinger: Monster at the End
CD Phonotron 2015

Andreas KlingerKrenn ist einer der Herren hinter Viech, einer Band, die im heurigen Jahr endgültig durchgestartet ist und sich neben den eindeutig ein paar mal zu oft gespielten Bilderbuch und Wanda im Alternativradio behaupten konnte. Klinger solo ist nicht allein, sondern hat sich für das erste Album mit illustren Menschen aus dem Indie-Bereich umgeben. Judith Filimónova etwa kennt man von Fijuka, Günther Paulitsch von Polkov, Stereoface und Marta, Vera Kropf von Luise Pop und Philipp Szalay von Farewell Dear Ghost, um nur einige Namen fallen zu lassen. Klinger kombiniert Sounds, wie man sie auch ansatzweise von Viech kennt, mit geradlinigen englischen Texten. Diese, mit Grummelstimme gesungen, erinnern an die schönen dunklen Zeiten, als Emos noch Grufties hießen. Ja genau damals, als im Grazer Ska noch Underground-Gefühle herrschten, man andererseits aber auch schon anspruchsvollen Stadionrock hören durfte. So ganz lässt Klinger das Monster nie von der Leine, aber gerade in dieser Zurückhaltung liegt die Kraft der Platte. Als Viech-Fan der zweiten Stunde muss man fast hoffen, dass dieser Einzelgang nicht allzu toll einschlägt und KlingerKrenn nach wie vor genug Zeit für die Erstband hat. Das Zeug zu sehr großer Beliebtheit auf FM4 und anderswo hätte “Monster at the End” allemal.    

Die Nerven: Out
Glitterhouse Records 2015

Bloßer Zufall, aber immerhin eine Parallele: Die Nerven, vor fünf Jahren in der Nähe von Stuttgart gegründet, machen Noise und haben ihre ersten bedeutsameren Schritte auf dem Label This Charming Man gemacht, auf dem jetzt auch die Sex Jams gelandet sind. Am reichlich wütenden Grundton hat auch der Wechsel zu Glitterhouse nichts geändert, was für die dortigen Verhältnisse dann auch wieder überraschend klingt. Die Nerven singen auf deutsch und das fast so sprachspielerisch-schön wie Viech (um noch eine Parallele herbei zu bemühen). “Die Unschuld in Person” etwa klescht nicht nur, sondern kann auch textlich was. Der Song “iPhone”fängt mit wildem Gekreisch an, geht über in stampfenden Rock und wird mit jeder Sekunde treibender. “The best thing I’ve seen since the Pixies opened for My Blood Valentine” meinte John Bramwell von der Band “I am Kloot” kürzlich und er trifft es damit sehr gut auf den Punkt. Das Erbe der 1970er und 80er in Deutschland mit Fehlfarben und einigen der richtig schrägen NDW-Experimenten wird hier gekoppelt und verzerrt mit Sounds, die auch Sonic Youth nicht von der Festplatte löschen würden. Auch wenn man bei uns noch nicht viel von den Nerven gehört hat, die deutschen Medien überschlagen sich bereits seit dem letzten Album vor Begeisterung. “Out” sollte da noch ein Stück weiter dazu beitragen, dass die Band aus Esslingen bald in jedem anständigen Plattenregal vertreten ist. Live soll das ganze übrigens besonders schön sein. Am 17. 11. in Wien, am 18. 11. in Dornbirn und am 19. 11. in Graz kann man sich davon überzeugen.

PS: Auf Facebook haben sich die Herren die schöne Url deinemutteralter gesichert. Nur falls wer suchen möchte…

Tanakayama: “Today is close”, 
CD pumpkin records 2015

Das ist ja seltsam. Sehr seltsam sogar. Vier Musiker aus Wien, die japanisch singen, das aber nicht etwa zu asiatisch angehauchten Melodien, sondern zu Gitarrenpop mit ein bissl Synthie. Man hat zuerst den Eindruck, da hat sich jemand die Texte aus dem Telefonbuch geholt und singt sie rückwärts. Durch die ungewohnt weiche Aussprache würde man auch vermuten, dass das eine oder andere ungarische Wort dabei ist. Aber mit der Zeit bekommt das ganze dann wirklich eine hypnotische Wirkung. Und die Songs, die zweifellos nicht ungewollt an die großen Zeiten der Pop-Musik erinnern, könnten so nicht nur im coolen Sushi-Laden laufen, sondern auch gerne im Indie-Radio zur blauen Stunde. Für Freunde der sanfteren Klänge, die wir weiter oben bislang nicht bedient haben, ist das eine feine Anschaffung. Übrigens: Tanakayama gibt es bereits seit 2008. Seltsam. Aber gut.

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