Das Festival FreiSchreiben, das am 10. und 11. November in Graz stattfand, beschäftigte sich mit Literatur und Widerstand, mit dem Verhältnis von journalistischer und literarischer Arbeit. In einem Workshop an der FH Joanneum berichtete etwa Christos Ikonomou aus Griechenland davon, dass in den vergangenen zwei Jahren rund 2000 JournalistInnen in seinem Land den Job verloren. Von einer „geplatzen Blase“ in Bezug auf die Anzahl der Medien berichtete Ikonomou und davon, dass es noch viel schwieriger sei, als Schriftsteller zu leben. Wie düster die Situation heute wirklich in Griechenland sei, wer dafür nach Meinung der Bevölkerung verantwortlich sei und wie er die Unterschiede zwischen journalistischem und literarischem Arbeiten definiere, wollten die Studierenden erfahren.
Danach erzählte Liao Yiwu aus China, der heute in Berlin lebt, von über 300 Interviews, die er mit „kleinen Leuten“ führte. Sträflingen, Säufern, Müttern, die ihr Kind bei einem Erdbeben verloren, stellte er Fragen – und nicht immer waren seine Interviewpartner in der Lage, Antworten zu geben. Liao Yiwu, der selbst wegen eines einzigen Gedichts („Massaker“) für vier Jahre ins Gefängnis musste, machte an der FH sehr deutlich klar, wie absurd das chinesische Regime seit Jahrzehnten agiert und welche schrecklichen Folgen das für Oppositionelle haben kann – oder auch für Menschen, die versehentlich beim Autostoppen im Geheimknast landen.
Szenenwechsel in die Alte Uni. Vielleicht hätte man ja einen Publikumsaustausch durchführen sollen. Vormittags an der FH junge neugierige Studierende, aber auch welche, die mit Hilfe ihrer Laptops zwischen Facebook und Amazon hin und her navigierten und so taten als würden sie eifrig mit tippen. Am Abend im noblen Rahmen dann das versammelte Bildungsbürgertum, ÖVP-nah und tendenziell ebenso reich an Besitztümern wie an Lebenserfahrung.
Markus Spillmann, Chefredaktor der weithin angesehenen NZZ, beantwortete zwar die an ihn gestellte Frage („Haben Zeitungen eine Zukunft?“) nur sehr ausweichend, hatte aber für die anwesende Styria-Spitze doch einige sehr deutliche Ratschläge bereit. Ob die Botschaften angekommen sind? Da war die Rede davon, dass es fatal sei, mediale Schreihälse zu beschäftigen (wie beispielsweise den ultrapolemischen Kleine-Gastkommentator Broder?), und noch fataler, an journalistischer Qualität zu sparen. Der Schweizer Gast versuchte höflich zu sein und zählte daher auch die Zeitung von Moderator Patterer zu den Qualitätsmedien Österreichs, aus dem Publikum kam dann aber doch der eine oder andere Widerspruch. Wie die gedruckten Zeitungen die sinkenden Einkünfte kompensieren können, wissen zum jetzigen Zeitpunkt weder Spillmann noch Patterer, das wenigstens nahm das Publikum an Erkenntnis mit nach Hause. Noch spannender aber wäre es gewesen, den chinesischen Oppositionellen in einen großen Rahmen, wie den der Alten Uni zu bringen, und den Optimismus versprühenden NZZ-Chefredaktor mit den JournalistInnen der Zukunft zu konfrontieren.
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PS: Als ich einer Zeitung anbiete, über die Veranstaltungen „FreiSchreiben“ und „Geist & Gegenwart“ zu berichten, bekomme ich Folgendes zu hören: Interesse habe man schon, aber leider kein Budget mehr für Freelancer im heurigen Jahr. Auch irgendwie signifikant…
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PPS: Mehr über den Workshop mit Ikonomou gibt es beim jungen Kollegen hier: http://feuilletonsern.at/mensch-zu-bleiben/