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Haubentaucher des Monats Dezember

Der Molden Verlag: Seit wann ist Freigabe ein Fremdwort?

Eigentlich ist die Kategorie Haubentaucher des Monats sanft entschlafen. Aber für diesen sehr speziellen Fall haben wir sie wiederbelebt. Wir reden hier von einem kapitalen Fehler, der einem angesehenen Verlagshaus einfach nicht passieren darf. Was ist geschehen?

Im Molden Verlag, der unter der Dachmarke Styria Buchverlage publiziert, erschien im Oktober 2025 ein Buch namens We are Austria. 77 außergewöhnliche Frauen aus Österreich. Als Autorin wird am Cover und im Pressetext Nina Pavicsits angegeben. Das erstaunt einigermaßen, denn die Texte über die 77 Frauen sind alle in der „Ich“-Form verfasst.

Na gut, denken sich die Käuferin und der Käufer, hat der Verlag eben Kosten und Mühen nicht gescheut, um bei Künstlerinnen wie Elfriede Jelinek, Erika Pluhar, Stefanie Sargnagel, Christina Stürmer sowie bei bekannten Persönlichkeiten wie Ingrid Brodnig, Viktoria Schnaderbeck oder Nicola Werdenigg kurze autobiographische Texte in Auftrag zu geben. Wie das bei verstorbenen Berühmtheiten wie Maria Theresia, Christine Nöstlinger oder Hedy Lamarr möglich war? Das lassen wir mal dahingestellt.

Was noch erstaunt? Der Stil. Und auch der eine oder andere inhaltliche Fehler. Nicola Werdenigg etwa schreibt in einem Statement:

„Für das Buch „We are Austria. 77 außergewöhnliche Frauen aus Österreich“ wurde über mich ein Text erstellt, den ich nicht autorisiert habe. Der mir vorgelegte Entwurf enthielt zahlreiche sachliche Fehler – unter anderem wurde meiner Mutter zweimal Olympia-Gold zugeschrieben, das sie nie gewonnen hat – und formulierte in Ich-Form über mich, in einem Stil, den ich niemals wählen würde.

Ich habe diese Fehler dokumentiert und dem Verlag eine eigene, authentische Version übermittelt. Sie wurde positiv aufgenommen und veröffentlicht.

Aus meiner Sicht zeigt dieser Vorgang exemplarisch, welche Risiken entstehen, wenn KI-generierte oder KI-gestützte Texte in biografischen Publikationen verwendet werden. Sie wirken auf den ersten Blick plausibel, vermischen Quellen, reißen Zitate aus dem Zusammenhang und erzeugen eine Scheinwahrheit. Wenn solche Texte über reale Personen erscheinen, ohne Offenlegung der Entstehungsweise, wird Geschichte verzerrt – und im schlimmsten Fall die Glaubwürdigkeit jener beschädigt, die für Haltung und Genauigkeit stehen.“

Werdenigg hatte aber zumindest die Gelegenheit bekommen, „ihren“ Text zu korrigieren respektive (ohne entsprechendes Honorar!) einen neuen zu verfassen. Andere bekamen diese Chance nicht – oder der Verlag bemühte sich zumindest nicht ernsthaft um eine Freigabe. So fand sich auf der Facebook-Seite von Soap & Skin am 22. Dezember nun folgendes Posting von Anja Plaschg: „Ich möchte etwas richtigstellen. Ich habe noch nie mit der Autorin gesprochen, noch den Text über mich jemals freigegeben.“ Dasselbe ist Elfriede Jelinek passiert, wie der Haubentaucher aus verlässlicher Quelle erfuhr. Das tut besonders weh, denn der ihr zugeschriebene Text ist in einem mehr als fragwürdigen Stil verfasst.

Was sagt eigentlich der Verlag dazu? Erstmal nichts (auf der Website und den eigenen Social-Media-Kanälen) bzw. wenig Greifbares beim Posting von Soap & Skin. Dort ist lediglich dieses hier dazu kommentiert worden: „Wir, die Styria Buchverlage, bedauern sehr, dass Anja Plaschg mit dem Beitrag im Buch ‚We are Austria. 77 außergewöhnliche Frauen‘ nicht einverstanden ist. Die Autorin und Grafikerin Nina Pavicsits sowie der Verlag haben selbstverständlich alle im Buch vorkommenden, lebenden Österreicherinnen zeitlich ausreichend vor Drucklegung kontaktiert. Nicht in jedem Fall kam dazu eine Rückmeldung. Natürlich gehen wir auf den Wunsch von Frau Plaschg ein und werden in der nächsten, nun anstehenden Auflage den Beitrag über sie entfernen. Wir wünschen Frau Plaschg weiterhin viel Erfolg als Musikerin und Darstellerin. Der Beitrag im Buch entstand aus echtem Respekt und in Anerkennung ihres Schaffens als außergewöhnliche Künstlerin.“

Das, so fürchten wir, wird nicht reichen. Eine Entschuldigung bei allen im Buch porträtierten Frauen und eine Entschädigung wäre da unserer Meinung nach angebracht. Selbst damit ist die Debatte übrigens nicht vom Tisch. Denn Nicola Werdenigg vermutet stark den Einsatz von KI bei manchen Texten – und bei den Grafiken ist laut Impressum ebenfalls „Künstliche Intelligenz“ zum Einsatz gekommen. Wir sind gespannt, wie die Debatte weitergeht. Fad wird es sicher nicht. Das zumindest passt zum Motto des Verlags, der auf seiner Website schreibt: „Die Traditionsmarke MOLDEN macht seit 1964 Lust auf Geschichte und Geschichten. Mit klugen Autor:innen, einem wachen Blick auf die Gesellschaft und einem Anspruch: bloß nicht langweilig.“

Bild: Cover des Buches „We are Austria. 77 außergewöhnliche Frauen aus Österreich“ von Nina Pavicsits. Entnommen von der Website https://www.styriabooks.at/shop/gesellschaft-geschichte/we-are-austria/

PS: was noch schmerzt? Buchkritiken wie diese hier: https://www.derstandard.at/story/3000000297932/album-adventkalender-tuer-22-grosse-toechter-allesamt

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